Eine Kindheit in Mähren

Der Schriftsteller als Präsident

Václav Havel war ein gefeierter Autor, ehe er nach der "samtenen Revolution" 14 Jahre lang, tschechischer Präsident war. Sein jüngerer Bruder Ivan, ein erfolgreicher Computerspezialist, hat viele schöne Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit.

Ivan Havel über die Kindheit mit seinem Bruder Vaclav

Ivan Havel, Václav Havels um zwei Jahre jüngerer Bruder, scheint das genaue Gegenteil von Vaclav zu sein. Auf ihrem Gebiet sind beide sehr erfolgreich, der eine jedoch als Schriftsteller und Politiker, der andere als Mathematiker und Computerwissenschaftler, dessen Forschung sich hauptsächlich mit künstlicher Intelligenz befasst.

So unterschiedlich die Talente zwischen den beiden Brüdern verteilt sind, so sehr verbindet sie eine tiefe Freundschaft. Ivan Havel hat seinen Bruder immer unterstützt. Von ihm stammt auch die Idee, eine künstliche Sprache zu entwickeln, die sie "Ptydepe" nannten. In einem von Václav Havels bekanntesten Stücken, "Benachrichtigung", wird diese Kunstsprache verwendet.

Kindheitserinnerungen

"Vaclav und ich haben eine sehr glückliche Kindheit gehabt," erinnert sich Ivan Havel. "Normalerweise haben wir nur die Sommerferien auf unserem Landgut Havlov in Mähren verbracht, aber während des Zweiten Weltkriegs blieben wir das ganze Jahr dort. Die Gegend dort ist vom Krieg verschont geblieben und wir verbrachten eine wirklich glückliche Kindheit."

Der Vater blieb im Westen des Landes. Dort hatte er die Möglichkeit, über einen freien Radiosender die Geschehnisse an der Front zu verfolgen.

"Wir haben während des Krieges dort in Mähren eine Dorfschule besucht," erzählt Ivan Havel weiter, "mein Bruder Václav ab dem Jahr 1942 und ich ab 1944. Später, nach dem Krieg, sind wir in Prag in die Schule gegangen."

Eltern schützen ihre Kinder

Die Eltern Havel haben immer versucht, ihre Kinder vor den Gräueln des Krieges zu schützen - und später vor dem Kommunismus.

"Ich erinnere mich an meine Mutter, die uns in diesen für Kinder kritischen Jahren auch mit ihren eigenen Zeichnungen vor den Hässlichkeiten der Zeit bewahren wollte. Uns vor den Schrecken des Kommunismus zu schützen, war schon schwieriger, weil wir älter wurden und begannen, die Geschehnisse mit unseren eigenen Augen zu sehen."

Eine politisch verfolgte "bürgerliche" Familie

Die glückliche Kindheit war jedoch allzu bald vorüber. Ab 1948, nachdem die Kommunisten die Macht ergriffen hatten, wurde die Familie politisch verfolgt. Die Havels wurden als "bürgerliche" Familie eingestuft und alle ihre Güter konfisziert.

"Wir wurden gezwungen, alle in einer kleinen Wohnung zu leben," berichtet Ivan über diese Zeit. "Wir Kinder konnten nicht ins Gymnasium gehen und mussten unsere Weiterbildung in Abendschulen beenden. Dann haben wir beide zur gleichen Zeit unseren Militärdienst absolviert. Das war von 1957 bis 1959. Nach dem Militär durfte ich auch das technische Studium nicht regulär aufnehmen, sondern musste ein Abendstudium absolvieren. Das schlimmste an dieser Zeit war die Tatsache, dass wir nicht normal studieren konnten."

Vaclav setzt sich durch

In dieser Zeit begann Vaclav Stücke zu schreiben, die schon bald an kleineren Bühnen gespielt wurden. Die ersten Erfolge stellten sich ein - sehr zum Missfallen der Obrigkeit. Während seine Stücke in der Folge im Ausland mit großem Erfolg gespielt wurden, wurde Vaclav Havel in der damaligen Tschechoslowakei mit Publikationsverbot belegt, verhaftet, unter Hausarrest gestellt und mehrfach zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Er wurde Mitbegründer der Menschenrechtsbewegung "Charta 77", Vorsitzender des "Klubs unabhängiger Schriftsteller" und während der "samtenen Revolution" zur Symbolfigur des nichtkommunistischen Widerstands gegen das verhasste Regime.

Ivan macht Karriere

Sein Bruder Ivan aber, dessen Talente weniger im künstlerischen als im technischen Bereich lagen, ging in die USA, wo er an der "University of California at Berkeley" seinen Abschluss in Computerwissenschaften machte. Heute unterrichtet er an der Karls-Universität in Prag und beschäftigt sich mit künstlicher Intelligenz.

Ganz ohne Literatur geht's aber auch bei ihm nicht. Ivan hat kürzlich ein Buch herausgebracht, das seiner Mutter gewidmet ist. Hauptinhalt sind die Zeichnungen, mit denen Bozena Havlova ihre Kinder "vor den Hässlichkeiten der Zeit" bewahren wollte. Das Buch ist noch nicht auf Deutsch erschienen.