Bulat Okudshawa - Liedermacher und Dichter
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"So lange sich die Erde noch dreht, gib jedem, o Herr, was ihm fehlt: Dem Weisen gib einen Kopf, dem Feigen ein Pferd, dem Glücklichen Geld. Den Machthungrigen füttere mit süßer Macht. Dem Kain schenk die Reue. Nur vergiss mich nicht dabei!"
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus dem "Georgischen Lied"
Er hat sich vom sowjetischen Kulturdiktat nicht vorschreiben lassen, wie ein Lied oder Text zu sein hat, und obwohl zwischen den ersten Studioaufnahmen 1960 und dem Erscheinen der ersten Platte 20 Jahre vergingen, war er in seinem Land unvorstellbar populär: Bulat Okudshawa (1924 - 1997) - Schriftsteller, Dichter, Liedermacher und Kultfigur der Dissidentenbewegung. Sein Name klingt wie eines seiner Gedichte, die er mit melancholischer Stimme zur Gitarre sang.
Der schwarze Kater
In jenem Treppenhaus, dem "Schwarzen Korridor"
lebt und herrscht - wie auf dem eigenen Gut -
der Schwarze Kater.
Die Dunkelheit ist sein Schutz. Hinter dem Schnurrbart
hält er ein spöttisches Grinsen verborgen.
Alle Kater singen und heulen, nur der Schwarze Kater schweigt.
Längst schon fängt er keine Mäuse mehr.
Wie auf ein Stückchen Wurst lauert er auf ein falsches Wort von uns.
Er streift nicht umher, bettelt nicht.
Feurig funkelt sein gelbes Auge.
Manchmal fährt er über die Holzdielen
wie über einen Hals.
Nicht lustig ist es in diesem Haus zu leben.
Eine Lampe sollte man anbringen...
... und alle wissen, dass Josef Stalin gemeint ist
"Da saßen sie nun also am Küchentisch, die Kinder des XX. Parteitags, Schulter an Schulter, mit glänzenden Augen. Sie entdeckten die verloren gegangene Kunst wieder, einander zu erkennen und zu verstehen, sich an verwegener Offenheit zu erfreuen, die Furcht zu verachten und an Wunder zu glauben.
Ich griff zur Gitarre. Alle verstummten. Ich begann zu singen."
Gefährliche Poesie?
Bulat Okudshawa wuchs als "Sohn von Volksfeinden" bei seiner Großmutter in Moskau auf, nachdem sein georgischer Vater hingerichtet und seine Mutter ins Straflager verschleppt worden war. Er ist der typische Vertreter der "Moskauer Küchen". Hier spielte sich das interessante Leben ab: Essen, Trinken, Lieder, Rezitationen, Gespräche.
1960 darf er erstmals ein Konzert geben, auch Studioaufnahmen werden gemacht. Aber 20 Jahre vergehen, bis die Platte erscheint. Gerade zur rechten Zeit kommen die ersten sowjetischen Kassettenrecorder auf den Markt. Es wird kopiert und wieder kopiert, bis fast keine Musik mehr zu hören ist...
Der zärtliche Blick auf das Kleine
Okudshawa beherrscht die Kunst, den Blick auf die scheinbar unwichtigen, alltäglichen Dinge zu lenken und Großes darin zu erkennen.
Da wird einem Moskauer Käfer plötzlich klar, wie unbedeutend und leer sein Leben ist. Er muss aber an seinen eigenen Zauber glauben können, und dazu braucht es etwas Höheres, das ihn erheben wird. Im Text heißt es:
... und er erschuf sich seine eigne Göttin,
nach seinem Ebenbild und seinem Geist.
Am siebten Tag, zu irgend einer Stunde
entstand sie, aus den Feuern einer Nacht.
Der Himmel sandte vorher keine Zeichen.
Ihr Mantel war aus dünnem Stoff gemacht.
Alles vergessend, Freuden, Angst und Plagen
tat er die Tore seines Hauses weit
und küsste ihre rauen, harten Hände,
den Saum an ihrem abgetragnen Kleid.
Ihr Schatten auf der Schwelle schwankt nur leise.
Ihr Wort ist stumm. Ihr Schauen blind.
Wie Götter sind sie - wunderschön und weise
und traurig, wie es Erdenwesen sind.
Wie Götter - wunderschön und weise
und traurig, wie's nur Erdenwesen sind.
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Freenet Lexikon - Bulat Okudshawa