Im Kreis des Leidens

The Brown Bunny

Wie überlistet man Konventionen des Kinos, um glaubwürdig einen psychischen Ausnahmezustand zu verdeutlichen? Vincent Gallo hat mit "The Brown Bunny" einen Versuch gewagt und eine Reise zum Aufhänger für die Erforschung eines Seelenzustands gemacht.

Love hurts

Bud Clay fährt und fährt und fährt. Einerseits dreht er als Motorradrennfahrer Runde für Runde, andererseits durchquert er mit dem Auto Amerika. Bei kurzen Zwischenstops macht er Bekanntschaften. Sie bleiben flüchtig, nur Andeutungen von Begegnungen. Bud hat Berührungsängste im wahrsten Sinne des Wortes. Und je länger der Film dauert, desto mehr erhellt er die Hintergründe für Buds schwer irritiertes Gemüt.

Regisseur Vincent Gallo hat es aber nicht eilig. Er lässt seinen Anti-Helden - und sich selbst in der Hauptrolle - an der Liebe gehörig leiden. Daisy (Chloé Sevigny) heißt sie. Wer sie tatsächlich ist und was sie getan hat, erfährt man erst viel später.

Kein Heftpflaster für die Seele

"The Brown Bunny" bedient vordergründig ein klassisches Road-Movie-Motiv: Eine Reise wird zum Aufhänger für die Erforschung eines Seelenzustands. Was üblicherweise auf Erklärungen und Lösungen zusteuert, findet bei Gallo keinen befriedigenden Ausweg. Zwar liefert Gallo vom Ende her die Begründung für das Trauma seiner Hauptfigur, das Heftpflaster für die verwundete Seele gibt es aber nicht.

Die Wunden werden vielleicht nie verheilen, auch nicht, wenn Daisy letztlich um Verzeihung bittet und Bud mit sich selbst hart ins Gericht geht: Er hat genauso Schuld am erlittenen Trauma. Er hat nicht geholfen, als seiner Liebsten Gewalt angetan wurde. Aber auch das ist alles nur ein Traum, der nicht weiterhilft. Nur dem Verständnis des Kinozusehers.

Verschwinden in der Salzwüste

Vincent Gallo reduziert äußere Ereignisse und Dialoge auf ein Minimum. Er kultiviert vor allem die filmische Umsetzung eines psychisches Ausnahmezustands. Höhepunkt ist dabei Buds Motorradfahrt durch die weite Ebene einer Salzwüste.

Dem Horizont nahe bleibt er in der sichtbar heißen Luft nur mehr schemenhaft erkennbar, wird zur Fata Morgana. Verlassen, einsam, schwebend, undeutlich, flirrend, ohne Bodenhaftung. Seltsame Melancholie.

Eitel und selbstverliebt

"The Brown Bunny" ist formal wie inhaltlich radikal, und vor allem radikal selbstbezogen. Gallo rückt sich in jeder Einstellung - mehr oder weniger - ins Bild, stellt sein (Alter) Ego künstlerisch kreativ aus. Andere - selbst Daisy - werden im Bild gerade noch geduldet. Das mag konsequent sein und dennoch immer wieder nahe an unerträglicher Eitelkeit und Selbstverliebtheit.

Radikal mag der Film vielleicht auch im Kontext des gegenwärtigen US-Kinos gelten, das selten bemüht ist, verletzte Innenwelten authentisch auf die Leinwand zu bringen. Einen Trost mag es für Bud Clay noch geben: Er ist nicht allein, das Kino der Ort seiner Seelenverwandten. Gut erinnert man sich noch daran, wie Harry Dean Stanton in Wim Wenders' "Paris Texas" die Wüste durchwanderte. Wortlos, verzweifelt, jenseits.

The Brown Bunny
USA/Japan, 2003
mit: Vincent Gallo, Chloë Sevigny, Cheryl Tiegs
Drehbuch und Regie: Vincent Gallo