Drei Monate noch zu leben
Mein Leben ohne mich
Die spanische Regisseurin Isabel Coixet begegnet dem Sterben auf der Leinwand ohne große Sentimentalität und bietet dennoch einfühlsames Kino. Der Film ist eine Tragödie, die sich nicht an die Regeln des Genres halten will. Produziert hat dieses Drama Pedro Almodóvar.
8. April 2017, 21:58
Meinen Vater im Gefängnis aufsuchen. Jemanden in mich verliebt machen. Sex mit einem anderen Mann. Immer sagen, was ich denke. Für meinen Mann Don eine andere Frau finden - eine, die auch den Kindern gefällt. Rauchen und Trinken, soviel ich will. Künstliche Fingernägel machen lassen. Was hier wie die zehn Gebote der etwas anderen Art klingt, sind Dinge, die die 23-jährige Ann (Sarah Polley) noch tun möchte, bevor sie stirbt. Diagnose: Krebs. Unheilbar. Zwei Monate noch zu leben. Vielleicht drei.
Die Leichtigkeit, mit der Ann ihre Wünsche aufschreibt, erinnert mehr an eine Einkaufsliste als an eine Art vorgezogenes Testament. Ann will die Dinge regeln, bevor sie geht. Pragmatisch, effizient und vor allem ohne jemanden vom nahen Tod zu informieren.
Wenigstens drei Monate Glück
Die kanadische Regisseurin Isabel Coixet hat mit "Mein Leben ohne mich" einen Film über das Sterben gemacht und dennoch kein filmisches Requiem komponiert. Der Tod ist unausweichlich, und dennoch ist das Leben für Ann noch lange nicht zu Ende: "Plötzlich hab ich erkannt, dass mein ganzes bisheriges Leben ein Traum war und dass ich erst jetzt aufwache... "
Was hatte das Leben der jungen Mutter bisher schon zu bieten: einen Wohnwagen, einen passablen Mann, zwei nette kleine Mädchen, die Mutter (Debbie Harry) als Nachbarin und ewige Pessimistin. Nicht dass Ann bisher besonders unglücklich gewesen wäre. Im Gegenteil. Aber wirkliches Glück hätte auch anders ausgesehen. Wenigstens drei Monate lang will sie wirklich glücklich sein.
Philosophischen Reflexionen über den Tod
"Mein Leben ohne mich" ist eine Tragödie, die sich partout nicht an die Regeln des Genres halten will. Keine großen Ausbrüche der Verzweiflung, keine Dramatisierung der Ereignisse, kein forciertes Ausstellen des Leids im Angesicht der tödlichen Krankheit.
Sicher könnte man einwenden: Das Sterben würde hier geschönt, weil explizites Dahinsiechen ausgespart bleibt. Der körperliche Verfall wird kaum sichtbar. Aber an konventionellen Kinoreflexen ist Isabel Coixet ohnehin nicht interessiert, vielmehr schon an philosophischen Reflexionen über den Tod.
Zivilisationskritik!
Macht das Leben also tatsächlich erst durch das (baldige) Sterben Sinn? Dennoch führt Coixet den Dialog mit dem Zuseher meist auf der lebenspraktischen Ebene: Anns beste Freundin quält sich mit Diäten. Eine Qual, die Coixet mit subtiler Zivilisationskritik verbindet. Wozu eigentlich? Doch dann wird die Kritik zunehmend radikaler: "Stupid fucking commercials." - Werbung anzusehen, dafür hat Ann sicher keine Zeit mehr. Dass Ann all ihre Vorsätze erfüllt, bevor sie stirbt, macht im Drehbuch einige Verrenkungen erforderlich, doch wirklich störend sind sie nicht.
Eigenwillige Melancholie
Isabel Coixet fasst ihre Tragödie in einen ruhigen Bilderfluss, in düstere Bilder und blasse Farben. Auch das wohldosierte Spiel des exzellent gewählten Schauspielensembles verbreitet keine künstlicher Trauer. Überhaupt herrscht hier mehr eigenwillige Melancholie denn falsche Sentimentalität.
Freilich drängt sich eine Frage schon während des gesamten Films auf: Wie kommt Coixet aus dem Dilemma raus, die Geschichte, die sie so sehr am Leben gehalten hat, zu einem würdigen Abschluss zu bringen? Wie den Tod nun vermitteln? Einfacher als man glauben möchte. Den Tod sieht man nicht. Nur das, was er hinterlassen hat. Die Betroffenen, die traurig sind, aber nicht verzweifelt. Anns genaue Vorbereitungen für ein Leben danach haben sich also ausgezahlt.
Spätestens dann erinnert man sich auch den italienischen Schlager, der zuvor im Film auftauchte. Ein Schlager von Gino Paoli: "Senza fine", ohne Ende. Das Leben geht weiter. Auch ohne mich.
Mein Leben ohne mich
(My Life without me)
Kanada, Spanien, 2003
mit: Sarah Polley, Scott Speedman, Mark Ruffalo, Alfred Molina
Drehbuch und Regie: Isabel Coixet