Der indiskrete Charme der Bourgeoisie

Die Blume des Bösen

Wäre die Leinwand ein Silbertablett, dann würde sich die großbürgerliche Familie in Claude Chabrols neuestem Film dem Zuseher quasi selbst darauf servieren. Chabrol lässt seine Figuren mit hintergründig-subtilem Spott an den eigenen Schwächen scheitern und inszeniert so eine ironische Selbst-Demontage.

Seit nunmehr 30 Jahren gilt Regisseur Claude Chabrol als Chronist und Analytiker der französischen Bourgeoisie. Unvergessen sind dabei Streifen wie "Die untreue Frau" (1968), "Das Biest muss sterben" (1969), "Der Schlachter" (1969), "Vor Einbruch der Nacht" (1971), "Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen" (1975) oder "Die Phantome des Hutmachers" (1982).

All diese Filme spielen im Milieu des gehobenen Bürgertums, also in mondänen Landhäusern, bevölkert von verdächtig eleganten Menschen. Dieses Umfeld hat Claude Chabrol in bester eigener Tradition auch für seinen neuesten Film "Die Blume des Bösen" erneut aufgebaut. Wieder einmal untersucht der Altmeister die Beziehungen innerhalb einer gutbürgerlichen Familie in der französischen Provinz. Gerade im ländlichen Idyll, dort, wo die Fassaden nach außen hin am schönsten scheinen, brechen sie umso unvermuteter zusammen.

Ansammlung von Eitelkeiten

Im Zentrum der Geschichte steht die Familie Charpin-Vasseur: Der Vater, ein Apotheker nicht nur mit geschäftlichen, sondern auch privaten Expansionsgelüsten, die Mutter ist materiell so gut versorgt, dass sie sich in die Lokalpolitik wagen kann, und der Sohn, gerade zurückgekehrt vom Studium in den Vereinigten Staaten, verliebt sich sogleich in seine Halbschwester, die Tochter des Hauses. Kurz: Eine Ansammlung von Halb-Prominenz mit dem unbedingten Hang zur provinziellen und eitlen Selbstdarstellung.

Falsche Harmonie entzaubert

Am Anfang steht eine Leiche. Damit demonstriert Chabrol erneut sein Interesse an kriminalistischen Vorgängen, auch wenn die Tat an sich in den Hintergrund rückt. Vielmehr fördert Chabrol - langsam, aber sicher - wie ein Detektiv Charakterwahrheiten und die menschlichen Beweggründe zutage, also Hass, Liebe, Rache, und pure Gemeinheit.

Es sind gerade die Verlogenheiten des Bürgertums, die Chabrol unter der Oberfläche des schönen Scheins, der eleganten Umgangsformen und der falschen Harmonie, entzaubert.

Jede Menge kleiner Bosheiten

Genüsslich seziert Chabrol die Lügengebäude, treibt seine Lust an der Hintergründigkeit immer wieder auf die Spitze. Auf der Wahlparty, so verspricht die wahlkämpfende Mutter ihrem zögerlichen Ehemann, gäbe es jede Menge schöner Frauen. "Na, dann komme ich sicher!", ist der Gatte schnell überzeugt.

Der politische Opportunismus der Spitzenkandidatin ist nicht zu überbieten. Um den heilen Familienschein zu wahren, wirbt sie sogar damit, ihn zu brechen. Chabrols Fähigkeit, die eigentlichen Tragödien als Nebensächlichkeiten darzustellen, verleiht seiner Inszenierung jene Leichtigkeit, mit der man sich die Bosheiten ohne jedes schlechte Gewissen (wegen der eigenen Schadenfreude) zu Gemüte führen kann. Und das macht gerade den Spaß an diesem Film aus.

Kein Höhepunkt, aber gelungen

"Die Blume des Bösen" ist sicherlich kein Höhepunkt im Schaffen des Altmeisters, aber eine weitere gelungene Variante, wie man Gewissheiten auf der Welt mit den Mitteln des Kinos zumindest in Zweifel ziehen kann.

P.S.: Mit dem literarischen Werk "Die Blumen des Bösen" von Charles Baudelaire, so meint Chabrol selbst, habe sein Film aber nichts gemeinsam: "Ich habe einfach nur einen feinsinnigen und zugleich griffigen Titel gesucht."

Die Blume des Bösen
(La fleur du mal)
Frankreich, 2003
mit: Nathalie Baye, Benoit Magimel, Suzanne Flon
Drehbuch und Regie: Claude Chabrol