Das Glück des Unentschlossenen

Liegen lernen

Der Streifen "Liegen lernen" nach dem Bestseller-Roman von Frank Goosen zeigt mit ironischem Unterton einen jungen Mann beim Erwachsenwerden in den 80er und 90er Jahren.

"Ich will das Kind, oder ich mach Schluss!" Die Stunde der Wahrheit ist gekommen und die Drohung der Freundin sitzt Helmut (Fabian Busch) im Nacken. Denn bisher hat sich der 32-jährige aus kleinbürgerlichen Verhältnissen einfach nur so durchs Leben geschlichen. Ob in der Liebe oder im Beruf, stets ohne großartig aufzufallen, ohne sonderliche Ambitionen, ohne Verantwortung zu übernehmen und vor allem: ohne Welt gegenüber eine klare Haltung vertreten zu haben.

Dabei ist Helmut gar nicht der klassische Verlierertyp, dem immer nur alles Unglück im Leben zustößt. Doch im Gegensatz zu den beeindruckenden (positiven wie negativen) Karrieren heutiger Kinofiguren ist ihm jegliches Bedürfnis nach Außergewöhnlichkeit fremd. Und: Auch damit kann man Erfolg haben, irgendwie: von Britta bis Barbara (Sophie Rois), von Gisela bis Tina (Birgit Minichmayr).

Erzählung via Off-Kommentar

Das Leben als Mittelmaß in der deutschen Provinz, verpackt in einer Rückblende über die frühen 80er Jahren bis in die späten 90er, macht der deutsche Regisseur Hendrik Handloegten zum Zentrum des Films "Liegen Lernen".

Die wichtigste Erzählform ist dabei der Off-Kommentar, der eine enge Beziehung zum Kinozuseher herstellt. Als Vorlage diente Handloegten der dem Filmtitel gleichnamige Roman des Kabarettisten Frank Goosen aus dem Ruhrgebiet. Ein Bildungs- und Erziehungsroman der etwas anderen Art, denn obwohl Helmut das "liegen lernen" ganz gut beherrscht, bleibt ihm das Aufstehen nicht erspart. Ähnlichkeiten etwa mit dem Roman "High Fidelity" des Briten Nick Hornby sind nicht ganz von der Hand zu weisen.

Private Entwicklungsgeschichte

Doch im Vergleich zur Lässigkeit, mit der Hornby etwa seine Figuren an Liebe und am Erwachsenwerden verzweifeln lässt, kultiviert der Film "Liegen lernen" Unbeholfenheit und Schüchternheit, schildert eine private Entwicklungsgeschichte, in der eine bewusste politische Sozialisation nicht stattfindet.

Der Nato-Doppelbeschluss muss ja gut sein, weil er ja doppelt beschlossen wurde. Und Nicaragua ist für Helmut ebenfalls ein unbekanntes Terrain seiner persönlichen politischen Landkarte. Doch wer denkt im Bett der ersten Liebe schon an Politik.

Vor der Event-Kultur

Zur Unentschlossenheit seiner Hauptfigur liefert der Film auch das passende Ambiente. Nicht nur die Orte spiegeln die Identitätslosigkeit des Charakters wider, sondern auch genaue Details in der Ausstattung. Nach den stilistischen Ausschweifungen der 70er Jahre folgte in den 80ern biedere Nüchternheit.

Mit viel Aufwand für Details hat Regisseur Handloegten das Porträt einer Zeit entworfen, in der man nicht viel brauchte, um sich zu unterhalten, wobei es schon genügte, sich nicht sonderlich zu langweilen. Eine Zeit, die weit entfernt war von den Auswüchsen einer heutigen Event-Kultur und in der man die Musikindustrie maximal dadurch betrog, dass man sich die Platten von Freunden analog kopierte oder Kassettenmitschnitte von Radio-Sendungen anfertigte.

Gelebte Geschichte

"Liegen lernen" ist vor allem ein Stück Erinnerungsliteratur, dem im Film einige Kanten abgeschliffen wurde, ohne jedoch die Grundabsicht des Romans zu verfehlen: Gelebte Geschichte für die Generation der heutigen Mittdreißiger im Kino mit Unterhaltung nachvollziehbar machen.

Liegen lernen
Deutschland, 2003
mit: Fabian Busch, Susanne Bormann, Birgit Minnichmayr, Fritzi Haberland
Drehbuch und Regie: Hendrik Handloegten