Emanzipationsstory der anderen Art

Verrückt nach Paris

Eine Filmkomödie, die erstmals selbst geistig und körperlich behinderte Schauspieler als Hauptdarsteller besetzt.

Hilde ist über 70 und eine Liebhaberin von Hüten. Eine liebenswürdige Frau, doch in der Küche beim Kartoffelschälen wird sie ständig schikaniert. Karl würde gerne das Basteln von Watschel-Enten aus Holz gegen einen richtigen Job in einer KFZ-Werkstätte tauschen. Doch sein Betreuer Enno ist dagegen. Und Philipp ist in Vanessa verliebt. Doch die wird ihm untreu.
Frust und Bevormundungen, Spott und Zynismus gehören zum Alltag in einem Heim für geistig und körperlich Behinderte in Bremen. Damit soll nun Schluss sein, meinen Karl, Philipp und Hilde und beschließen, aus ihrem Alltag zwischen Betreuung und Demütigung auszubrechen. "In welchem Zug kann man übernachten?", fragt Hilde am Bahnhofsschalter. "Heute geht nur noch einer nach Paris", so die Antwort. Der Entschluss: "Den nehmen wir!"

Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung

Durch die Reise nach Paris verändern sich für alle Beteiligten die Perspektiven. Durch Routine geprägte Alltagsrituale werden aufgebrochen. Die drei Behinderten gewinnen an Selbstbewusstsein für mehr Selbstbestimmung. Und Betreuer Enno beginnt an seiner Gedanken- und Respektlosigkeit zu zweifeln.

Schließlich gerät das Karrieredenken des ehrgeizigen Heimleiters ins Wanken, der seine Einrichtung mit einem Wirtschaftsbetrieb verwechselt und den Sponsoren ein Heim vorführen möchte, "dass die Tränen fließen, mit ein paar Bewohnern zum anfassen". Derartige Szenen kann man durchaus als politisches Statement verstehen, als Plädoyer für mehr gesellschaftliche Integrationsbemühungen.

Behinderte als Darsteller

Während Behinderte in diesem Filmgenre meist von nichtbehinderten Schauspielern dargestellt werden, haben die beiden deutschen Regisseure Eike Besuden und Pago Balke erstmals auf behinderte Schauspieler zurückgegriffen. Paula Kleine als Hilde, Wolfgang Göttsch als Karl und der Contergan-geschädigte Frank Grabski als Philip sind Sympathieträger eines Films, der konsequent aus ihrem Blickwinkel erzählt wird.

Die künstlerische Arbeit mit diesen Darstellern war zweifellos ein Wagnis und erforderte Geduld, beispielsweise weil Wolfgang Göttsch nicht lesen kann und ihm seine Rolle daher vorgesprochen werden musste. Erstaunlich daher die Ironie und die Leichtigkeit, mit der die grundsätzlich ernste Thematik letztlich abgehandelt wird.

140.000 Zuseher in Deutschland

"Verrückt nach Paris" ist kein Film, der Betroffenheit oder Mitleid beim Kinobesucher auslösen möchte, sondern vielmehr eine Emanzipationsgeschichte der etwas anderen Art und eine Komödie.

Mit bislang rund 140.000 Besuchern in Deutschland ist der Film ein unerwarteter Erfolg. An eine Fortsetzung wird bereits gedacht.

Verrückt nach Paris
Deutschland, 2002
mit: Dominique Horwitz, Paula Kleine, Frank Grabski, Wolfgang Göttsch
Drehbuch und Regie: Eike Besuden, Pago Balke