Ein Endzeitszenario

Die Straße

Es ist ein Endzeitszenario, in dem die Menschheit nahezu ausgelöscht ist, das Cormac McCarthy in seinem neuen Roman präsentiert; exakt geschrieben in Wortwahl, Silbenfall und Syntax. Der Pulitzerpreis dafür kommt nicht von ungefähr.

Cormac McCarthy ist hier zu Lande noch immer nicht so bekannt wie er es verdient. Nicht einmal der diesjährige Pulitzer-Preis für sein jüngstes Werk "Die Straße" konnte das wirklich ändern, wie auch die Verfilmung seines Romans "All die schönen Pferde" durch Billy Bob Thornton vor sieben Jahren.

Unvergleichlicher Stil

Fern vom literarischen Mainstream liegen McCarthy und sein durchaus eigenwilliger Stil. Es braucht nur das bisschen Mut zu einem Schmökerversuch: Schon nach ein paar Sätzen ist man in einen Kosmos eingetaucht, der zwar zum Vergleichen verleitet, dem aber gerade mit Vergleichen nicht beizukommen ist. Ob man nun patriotisch Marlen Haushofers "Die Wand" bemüht, Peter Roseis "Entwurf zu einer Welt ohne Menschen" oder Thomas Glavinc' "Die Arbeit der Nacht": Sie berühren McCarthys Eigenheiten kaum, allen thematischen Ähnlichkeiten zum Trotz.

Einigermaßen nahe kommt McCarthy von all den deutsch Schreibenden nur einer: Paul Celan, mit einem Gedicht, das vor genau 40 Jahren zum ersten Mal erschienen ist: "Fadensonnen | über der grauschwarzen Ödnis. | Ein baum- | hoher Gedanke | greift sich den Lichtton: es sind | noch Lieder zu singen jenseits | der Menschen." Und das ist kein Zufall, denn McCarthys "Straße" ist, auch auf Deutsch, ein großes Gedicht.

Auf den Punkt gebracht

Ein langes Endzeitgedicht: klar, knapp und kühn. Exakt in Wortwahl, Silbenfall und Syntax. Nirgends bemüht, von unaufdringlicher Meisterschaft in der Konstruktion, die nirgends aufdringlich durchblinkt.

Cormac McCarthy meidet jede Umschweife, kommt umgehend zur Sache und bringt sie auf den Punkt, bleibt aber dabei behutsam und zurückhaltend, verzichtet auf Raunen und Bühnennebel, arbeitet ohne Netze und doppelte Böden. Der Autor gestattet sich kein Wort zu viel.

Immer die Straße entlang

"Die Straße" ist ein monochromes Tableau, bestimmt von Schwarz- und Grautönen. Die Menschheit ist nahezu ausgelöscht. Der letale Schlag liegt offenbar schon länger zurück. Überall liegt Asche, die Sonne ist verdüstert, und das Klima hat sich merklich abgekühlt; Regen und Schnee sind Gefährdungen, lebensbedrohend.

Vater und Sohn, beide namenlos, ziehen auf und an einer Straße, auch sie ohne Namen, durch die USA südwärts, in der Hoffnung auf ein weniger unwirtliches Klima. Unterwegs leiden sie unter Hunger und Kälte. Vorsichtig versorgen sie sich in den desolaten Überresten der untergegangenen Zivilisation. Gründe dafür werden keine genannt, über sie wird nicht einmal spekuliert.

Bilder des Grauens
Auf Rückblenden wird nahezu ganz verzichtet, die wenigen werden fast ausnahmslos in Träume verbannt. In leer stehenden Häusern versorgen Vater und Sohn sich mit dem Notwendigsten an Nahrung und Kleidung, sorgen notdürftig für die überfällige Hygiene.

Sie leben in ständiger Furcht vor anderen Überlebenden. Der Revolver, dessen Munition sich zusehends neigt, ist ständig bei der Hand und oft vorsorglich gezückt. Bilder des Grauens brennen sich ein, wann immer sie auf Tote treffen; die Lebenden sind Jammergestalten, doch dadurch um nichts weniger bedrohlich.

Keine Gleichgültigkeit möglich

Die Erzählung schlägt Leserin und Leser in ihren Bann, sie lässt keinerlei Gleichgültigkeit zu: weder in den Glücksmomenten angesichts unverhoffter Funde, noch in den düsteren, verzweifelten Phasen von Krankheit und Erschöpfung.

So bildhaft wie sinnbildlich erzählt McCarthy von der Hoffnung, die nicht einmal zuletzt zu sterben gewillt ist. So setzt er am Ende sogar Kafka außer Kraft, der nun, und das ohne bittere Ironie, sagen müsste: "Es war, als sollte die Hoffnung ihn überleben".