Ungenagelt durch die Welt

Hirnrissiger Sigi Zimmerschied

Im Vorjahr schoss sich ein Amerikaner mit einer Nagelmaschine zwölf Stahlstifte in den Kopf, ohne dass bleibende Schäden entstanden sind. Sigi Zimmerschied sieht darin eine neue Maßeinheit für Glück.

Mein Gott, so ein sozialer Abstieg, was ist das schon!

Sigi Zimmerschied, der bitterböse Zyniker, der Spezialist für anspruchsvolle, ineinander verschachtelte Erzählstränge, kehrt mit seinem aktuellen Solo zurück zu einer ganz schlichten, assoziativen Form.

Am Anfang war ein Selbstmord

"Hirnrisse" ist das mittlerweile 11. Programm des Passauers betitelt. Ausgangspunkt für "Hirnrisse" war der kuriose Bericht über einen misslungenen Selbstmordversuch.

"Da gab es eine Meldung über einen Amerikaner", erzählt Zimmerschied im Interview, "der sich mit einer Nagelpistole zwölf Stahlstifte in den Kopf geschossen hat. Und es gab keine bleibenden Schäden. Das hat mich so fasziniert, dass ich um dieses Thema herum zu improvisieren begonnen habe, und dann der Frage nachgegangen bin: Wie viele Nägel verträgt ein Kopf? Die Zwölfer-Variante, die ganz große Vernageltheit, ist sicher ein Zustand großer Glückseligkeit."

Typologie der Vernagelten

Je mehr Stahl-Nägel im Kopf, umso besser. Zwölf, das sei die Krönung, das sei wie Matura, nur eben ohne Hirn. Aber natürlich gebe es auch die durchschnittlichen Sechser, die exhibitionistischen Dreier, die korrekten aber undurchsichtigen Vierer, oder die unverbesserlichen Verweigerer, die sensiblen Nuller. Ganz ernsthaft erklärt Sigi Zimmerschied seine Nagel-Typologie, und inspiziert auch die Köpfe seiner Zuschauer:

Ein 7er! Sauber genagelt! Aber als 7er gehören Sie auf die Knie. Demut ist das Prinzip der 7er!

Arbeit mit dem Publikum

Neben den politischen gehören die kirchlichen Würdenträger zu den liebsten Zielscheiben von Zimmerschieds Spott. Immerhin ist der 1953 in Passau geborene Vollblutkomödiant einschlägig vorbelastet. In seinem Lebenslauf sind aufgelistet: katholischer Kindergarten, Ministrantenkarriere, Studium der Religionspädagogik und Pfarrjugendführer. Vielleicht sucht er deshalb so gern die Nähe seiner Schäfchen, will sagen Zuschauer? Einen Großteil des Programms "Hirnrisse" spielt Sigi Zimmerschied im Publikum.

Dramaturgisch stringent widmet er sich knappe 90 Minuten lang der Hirnrissigkeit unserer Zeit und lässt dabei immer auch den Moralisten durchblinzeln, für den das Kabarett ein politischer Ort zu sein hat. In einem kleinen "Seminar für Staatskunde" demonstriert Zimmerschied, wie simpel Macht funktioniert. Er bittet einen Herrn im Publikum, aufzustehen, und setzt sich dann selber auf dessen Platz. Der Besucher ist verdutzt und steht - im wahrsten Sinn des Wortes - daneben:

Sie stehen, ich sitze, das Ziel ist erreicht. Wir sind eine völlig neue Politiker-Generation. Wir machen Politik mit dem Arsch, wir setzen uns einfach hin. Und Sie stehen. Haben Sie ein Glück! So beginnt nämlich Freiheit. So ein sozialer Abstieg ist auch eine Chance. Uns schnappt der Infarkt, wir kriegen die Fettleber, wir versulzen in der Verantwortung ums Ganze. Sie entschlacken in der Askese des Existenzminimums.

Groteske Existenzbewältigungsversuche

Glaube niemandem - am wenigsten dir selber, lautet Zimmerschieds Botschaft. Und akzeptiere, ja genieße unser aller groteske Existenzbewältigungsversuche mit wohligem Schauern und zornigem Lachen.

Welchem Nagel-Typus ordnet sich Sigi Zimmerschied selber zu? "Ich bin ein inkompatibler Nuller, der einfach eine Nagelallergie hat, und daher ungenagelt durch die Welt geht."

Famose mimische Qualitäten
"Hirnrisse" von Sigi Zimmerschied ist so geistreich wie unterhaltsam, und allein schon wegen der famosen mimischen Qualitäten des bayrischen Kabarett-Altmeisters absolut sehenswert.

Hör-Tipp
Contra, Sonntag, 20. Juli 2008, 22:05 Uhr

Links
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