Wer hat wen domestiziert?

Die einzigartige Intelligenz der Hunde

Hat mein Hund ein Gedächtnis, ein schlechtes Gewissen, kann er gar zählen oder logisch denken? Nachdem mehr und mehr mit Hunden gearbeitet und vor deren Intelligenz systematisch erforscht wird, lassen sich diese Fragen zunehmend beantworten.

Nicht der Mensch habe den Hund domestiziert, sondern der Hund den Menschen. Das ist zumindest eine der Theorien, die der Wiener Autor und Journalist Alwin Schönberger in seinem Buch über "Die einzigartige Intelligenz der Hunde" vorstellt. Zumindest aber haben die beiden Spezies sich in den langen Jahren des gemeinsamen Wegs gegenseitig gezähmt und "abgerichtet".

Wie der Wolf zum Hund wurde

Die Idee, dass einst Wolfsjungen von Menschen aufgezogen wurden, verweist der Autor ins Reich romantischer Vorstellung. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat sich der Wolf selbst domestiziert", sagt Alwin Schönberger. Die Anziehungskraft menschlicher Müllhalden war vermutlich entscheidend für die Entwicklung einer zahmeren Wolfspopulation.

Entscheidend ist dabei, welche Wölfe sich wohl trauten, diese Ressource zu erschließen. Denn darin könnte der Schlüssel für das spätere - dem Menschen angepasste Verhalten liegen. Der Zoologe Erich Pucher, Leiter der Archäologisch- Zoologischen Sammlung des Wiener Naturhistorischen Museums mit einem Forschungsfokus auf Domestikationsgeschichte, glaubt , dass es sich bei den wagemutigen Tieren nicht um Alpha- oder Leittiere gehandelt habe.

Maßgeschneiderte Intelligenz
Im Gegenteil, rangniedere Wölfe mit der Bereitschaft zur Anpassung und Unterordnung und einer viel geringeren Warn- und Fluchtbereitschaft seien es gewesen, die den Grundstock für die heutige Hundepopulation auf unserer Erde bildeten.

Noch einen Schritt weiter geht der Wiener Zoologe und Verhaltensforscher Wolfgang Schleidt, der Assistent von Konrad Lorenz war und später gut zwei Jahrzehnte in den USA forschte. Schleidt möchte wissen, wie viel vom Hund im Menschen steckt? "Die lange gemeinsame Geschichte von Hunden und modernen Menschen", schreiben Schleidt und sein Mitarbeiter Mike Shalter in einer 2003 erschienenen Abhandlung, werfe die Frage "nach dem Anteil des Hundes beim Bemühen des Menschen auf, die Kontrolle über die Welt zu erlangen". Fand demnach eine Verwolfung des Menschen statt?

Wechselseitiger Nutzen
Tauscht man den Begriff "Intelligenz" gegen den Begriff "Nützlichkeit" aus, so wird man rasch erkennen, was Mensch und Wolf,- später "Hund" - aneinander band. Das Bellen der jungen Wölfe (eine Eigenschaft, die später auch der erwachsene Hund übernahm) warnte die Menschen vor Gefahren. Die Spürnase des Wolfes war feiner als die des Menschen, und seine Bereitschaft, sich unterzuordnen, machte aus ihm einen willkommenen Jagdgefährten. Umgekehrt gewann der Wolf im Menschenrudel Sicherheit und Nahrung.

Nun könnte man noch die Frage stellen, wie lange es - unabhängig vom Beginn des Zeitpunkts der Partnerschaft - wohl gedauert haben mag, bis aus dem Wildtier Wolf der Haushund wurde. Neue Studien vertreten eine erstaunliche These: es könnte theoretisch blitzschnell gegangen sein.

Turbo-Evolution
Im sibirischen Nowosibirsk existiert eine große Silberfuchsfarm, in der russische Genetiker Dmitri Beljajew Ende vor knapp 50 Jahren damit begonnen hatte, jeweils die zahmsten der aggressiven und schwer zu haltenden Silberfüchse weiterzuzüchten:

Nach relativ wenigen Generationen war eine erstaunliche Veränderung eingetreten: Die neu gezüchteten Füchse gingen neugierig auf die Menschen zu, fraßen ihnen aus der Hand und ließen sich streicheln. Sie wedelten mit dem Schwanz. Auch erwachsene Füchse begannen nun zu bellen. Sie veränderten sogar ihr Aussehen: Plötzlich gab es scheckige Tiere und solche mit Hängeohren!

Der amerikanische Anthropologe Brian Hare unterzog im Jahr 2005 die direkten Nachfahren dieser speziellen sibirischen Fuchspopulation denselben Intelligenztests wie einer Vergleichsgruppe von Hundewelpen. Unter anderem ging es darum, ob die Füchse Zeige-Gesten der Menschen verstehen und umsetzen könnten: eine Fähigkeit, die nicht einmal die den Menschen genetisch viel näher stehenden Schimpansen entwickelt haben. Tatsächlich schnitten Hundewelpen und zahme Füchse beim Test praktisch gleich gut ab.

Rückschlag für Hundeschulen
Die Annahme der jahrtausendelangen Selektion vom wilden Wolf zum zahmen Hund könnte sich durch solche und ähnliche Studien als hinfällig erweisen. Wie auch das Tempo der Adaption eines einzelnen Hundes an einen einzelnen Menschen wesentlich höher zu sein scheint, als uns Hundebücher und Hundeschulen bis jetzt erklärt haben: "Alle Daten weisen darauf hin, dass das Verstehen des Menschen im Hund von Geburt an programmiert ist, man muss ihm das nicht mehr beibringen", so Alwin Schöneberger.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:45 Uhr

Buch-Tipp
Alwin Schöneberger, "Die einzigartige Intelligenz der Hunde", Piper Verlag 2007, ISBN 9783492048231

Link
Piper Verlag - Die einzigartige Intelligenz der Hunde