Am Kernpunkt der Debatte
Wer hat das Sagen?
Wie repräsentativ ist die Islamische Glaubensgemeinschaft für die Muslime in Österreich, und wie demokratisch ist sie? Es geht darum, wie Muslime in Österreich organisiert sind und wer in diesen Organisationen das Sagen hat.
8. April 2017, 21:58
In Österreich leben etwa 400.000 Muslime. Genaue Zahlen gibt es nicht. Überhaupt sind die Lebensbedingungen der Muslime in Österreich kaum erforscht. Wie viele von ihnen zum Beispiel ihren Glauben tatsächlich praktizieren ist gänzlich unbekannt.
Einige Zahlen
Knapp die Hälfte der hier lebenden Muslime dürfte bereits in Österreich geboren sein, mehr als ein Drittel hat die österreichische Staatsbürgerschaft. Die größte Herkunftsgruppe stellen mit 40 Prozent die Türken, gefolgt von Bosniern mit rund 20 Prozent, etwa 10 Prozent sind Albaner und Kosovaren.
Alle weiteren Herkunftsländer: Iran, Ägypten, Pakistan, Tunesien und Bangladesch bewegen sich im einstelligen Prozentbereich - das bedeutet jeweils weniger, zum Großteil deutlich weniger als 5.000 Personen.
Die unterste und wichtigste Organisationsebene sind lokale Moscheevereine, von denen es etwa 250 gibt. Genaue Zahlen sind auch hier nicht verfügbar. Die Vereine betreiben eine Moschee oder einen Gebetsraum, meist verbunden mit einem Geschäft, einem Café oder ähnlichen sozialen Einrichtungen.
Sie sind in der Regel streng ethnisch abgeschlossen, also türkisch, bosnisch, albanisch usw. Die Imame werden in der Regel aus den Herkunftsländern rekrutiert, aufgrund des Fremdenrechtes dürfen sie nur wenige Jahre in Österreich bleiben; Imame die gut deutsch können sind die Ausnahme.
Konflikt der Vertretungsebenen
Auf der nächsten Ebene über den Moscheevereinen gibt es mehrere Dachverbände - allein für die türkischen Moscheevereine gibt vier davon - die sich in ihrer religiösen und politischen Ausrichtung unterscheiden, etwa in der Beziehung zur Regierung der Herkunftsländer.
Die höchste Ebene bildet die islamische Glaubensgemeinschaft Österreichs, eine Körperschaft öffentlichen Rechts, deren Führung durch interne Wahlen bestimmt wird. Und hier setzt die Kritik der Verbände an: Die Glaubensgemeinschaft spreche nicht für die Muslime, sondern nur für sich selbst.
Beispiel türkisch-islamische Union
Mehrere Dachverbände, darunter einige der Größten, erkennen die Glaubensgemeinschaft nicht an. Eine davon ist die türkisch-islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich, kurz ATIB. Mit nach eigener Angabe 75.000 Mitgliedern ist ATIB der mit Abstand größte Verband von Muslimen in Österreich.
Harun Özdemirci ist nicht nur Vorsitzender von ATIB, sondern auch Botschaftsrat an der türkischen Botschaft:
In der islamischen Glaubensgemeinschaft gibt es keine Vertretung nach der Mehrheit der muslimischen Bevölkerung. Auch beim Religionsunterricht haben wir andere Ansichten. Daher sind wir nicht Mitglieder der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Das bedeutet nicht, dass wir keine Kontakte haben, in letzter Zeit waren die Beziehungen sehr gut. Aber wir kritisieren das geltende Wahlsystem. In Österreich gibt es etwa 450.000 Muslime. Davon haben nur etwa 4.000 auch ein Stimmrecht. Das als demokratisches System zu sehen ist sehr schwierig. Wir glauben, dass der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft von allen Muslimen gewählt werden soll.
Die Imame an den ATIB-Moscheen werden von der türkischen Regierung ausgebildet und bezahlt - daher stammt der Vorwurf, dass ATIB in Wirklichkeit eine Art Außenstelle der türkischen Regierung sei. Diesen Vorwurf weist Özdemirci aufs schärfste zurück. ATIB stehe für einen demokratischen und toleranten Islam in Österreich, Religion und Politik müssten streng getrennt werden.
Beispiel Aleviten
Eine zweite große Gruppe, nach eigenen Angaben 60.000 Menschen fühlt sich ebenfalls nicht durch die Glaubensgemeinschaft vertreten: Die Aleviten. Sie glauben an den Koran, sonst teilen sie mit den Muslimen aber praktisch nichts: Schweinefleisch und Alkohol sind erlaubt, Frauen sind gleichberechtigt, das Kopftuch ist nicht vorgeschrieben. In der Türkei, woher die meisten von ihnen stammen, gelten die Aleviten aber als Muslime und würden seit Jahrhunderten unterdrückt, erklärt Kemal Soylu, der stellvertretende Vorsitzende der Föderation der alevitischen Kulturvereine. Die Föderation hat vor kurzem um die Anerkennung als eigenständige Glaubensgemeinschaft angesucht, "denn wir haben mit der sunnitischen Glaubensgemeinschaft große Differenzen und sind uns nicht einig", so Kemal Soylu.
Beispiel Schiiten
Die dritte große Gruppe, die sich nicht durch die Glaubensgemeinschaft vertreten fühlt, sind die Schiiten. Allerdings ist nicht klar, wie viele es in Österreich gibt. Nach sehr scharfer öffentlicher Kritik in den letzten Monaten gibt es inzwischen einen Dialog zwischen dem Dachverband der schiitischen Vereine Ahlul-Bayt und der Glaubensgemeinschaft, sagt Erich Muhamad Waldmann, der Sprecher des Verbandes:
Es ist sicherlich so, dass wir versuchen werden, in allen Gremien der Glaubensgemeinschaft vertreten zu sein und dass wir auch für schiitische Schüler einen schiitischen Religionsunterricht anstreben. Das ist keine Problematik, die mit den Verantwortlichen der Glaubensgemeinschaft direkt zusammenhängt, sondern mit der Problematik der Entstehung der Glaubensgemeinschaft. Aber ich glaube, dass eine sehr große Hoffnung besteht - und das haben unsere Gespräche mit der Glaubensgemeinschaft auch bestätigt - dass hier eine Reform stattfindet und diese Probleme gelöst werden.
Unklare Strukturen
Die Vielfalt der verschiedenen Organisationen und Vereine ist nicht nur auf den ersten Blick verwirrend - eine Struktur, ein Organigramm oder eine einfache Liste gibt es nicht, weder offiziell noch inoffiziell.
Ebenso verwirrend und intransparent sind die Wahlen zur Führung der Glaubensgemeinschaft. Die letzten hat es im Jahr 2001 gegeben, die nächsten sollen gegen Jahresende stattfinden. Wer an diesen Wahlen teilnahmen darf ist aber umstritten.
Verweigerte Aufnahmen
Laut Statuten der Glaubensgemeinschaft sind alle Muslime automatisch Mitglied. Wahlberechtigt sind sie aber erst, wenn sie sich registrieren lassen und einen jährlichen Beitrag von 43 Euro und 60 Cent zahlen. Wer das Wahlrecht bekommt oder nicht sei aber pure Willkür, sagt Günther Ahmed Rusznak:
Ich habe mich angemeldet mit dem Formular der islamischen Glaubensgemeinschaft und gleichzeitig auch den Mitgliedsbeitrag überwiesen, und innerhalb einiger Tage ist dieser Mitgliedsbeitrag wieder auf mein Konto rücküberwiesen worden. Das zweite Mal habe ich einen Brief dazu geschrieben und um Aufklärung gebeten. Es ist wieder das gleiche passiert, der Betrag ist wieder rücküberwiesen worden ohne Begründung, also man nimmt mich nicht auf.
Gestrichene Listen
Auch die letzte Wahl im Jahr 2001 sei alles andere als demokratisch abgelaufen: So habe es für die Bundesländer Oberösterreich und Salzburg nur einen einzigen Wahltermin gegeben, so Günther Ahmed Rusznak:
Es waren ca. 350 Personen anwesend, die so die rund 60.000 Muslime in Oberösterreich und Salzburg vertreten. Zur Wahl waren zwei Listen angemeldet. Die eine Liste war von der Islamischen Förderation, die andere war von der Liste Hanel. Und dann ist Präsident Shakfeh erschienen und hat die Liste Hanel kurzerhand gestrichen.
Der Präsident der Glaubensgemeinschaft Anas Shakfeh bestätigt diese Ereignisse. Wenn es grobe Bedenken gegen Personen auf Wahllisten gebe, habe die Glaubensgemeinschaft das Recht, sie zu streichen. Aber: Bei einem zweiten Wahltermin hätten weitere 800 Personen teilgenommen. Die Wahlen 2001 seien weit besser organisiert gewesen, als alle davor, sagt Shakfeh - eine Tatsache, die auch Kritiker bestätigen. Und dafür, dass nicht mehr Muslime an den Wahlen teilnehmen, könne die Glaubensgemeinschaft nichts:
Als wir die Wahlen veranstaltet und organisiert haben, haben wir zum ersten Mal- und das ist ein Novum - inseriert im Amtsblatt der Republik, in der Wiener Zeitung, haben eine Frist genannt, und wer sich innerhalb dieser Frist registrieren ließ, der hat an den Wahlen teilnehmen dürfen.
Antworten der Glaubensgemeinschaft
Aus Fehlern der Vergangenheit habe man gelernt, erklärt Shakfeh: Bei der nächsten Wahl soll es statt einem Wahllokal pro Bundesland eines pro Moschee geben. Die Glaubensgemeinschaft habe zurzeit 16.000 Mitglieder, Tendenz stark steigend, sagt Shakfeh.
Diese Zahl wird von den Kritikern als maßlos übertrieben bezeichnet, Die türkische ATIB etwa spricht von 4.000 Mitgliedern. Das lässt Präsident Shakfeh nicht gelten. Auch dass ATIB die Glaubensgemeinschaft nicht anerkenne stimme nicht: Sie haben mehrmals an Sitzungen des Beirates der Glaubensgemeinschaft teilgenommen.
Zu den Aleviten meinte er: Sie müssten sich erst einmal klar werden, ob sie Muslime sein wollten oder nicht, sollten sie um die Anerkennung als Glaubensgemeinschaft ansuchen, werde er das unterstützen.
Am vehementesten wehrt sich Präsident Shakfeh gegen den Vorwurf, dass die Glaubensgemeinschaft Günther Ahmed Rusznak die Mitgliedschaft verweigere. Man wissen einfach nicht, ob Herr Rusznak überhaupt zum Islam übergetreten sei.
Im Gespräch wird aber klar, dass die Kritik der Grund dafür ist, dass Rusznak nicht aufgenommen wird.
Wir sagen: Wer in die Gemeinschaft kommt, um die Gemeinschaft zu zerstören, wenn er von vornherein seine Absicht erklärt, diese Gemeinschaft soll aufgelöst werden, dann kann die Gemeinschaft sagen: Bitte, Herr Rusznak, sie gehören nicht zu uns.
Der Fall Rusznak ist - um genau zu sein - noch nicht entschieden. Das ist eine Spitzfindigkeit der Statuten der Glaubensgemeinschaft. Wie demokratisch das ist - Verweigerung des Stimmrechtes nach öffentlicher Kritik - sei dahingestellt. Dahingestellt sei auch die Repräsentativität: 16.000 Wahlberechtigte bei 400.000 Muslimen.
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Links
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