Die Schriftstellerin Brigitte Schwaiger

Psychiatrie als Oase

Brigitte Schwaiger schildert in "Fallen lassen" ihre Zeit als Patientin im psychiatrischen Krankenhaus. Beklemmend die Erkenntnis, dass die vermeintliche Ausnahmesituation allzu schnell Menschen wie dir und mir widerfahren kann.

Über die Notwendigkeit von Psychiatrieeinrichtungen

Michael Kerbler: Frau Schwaiger, ich möchte mit einem Zitat aus Ihrem jüngsten Buch "Fallen lassen" beginnen. "Ich war Ende des Jahres 2001 so kaputt vom vielen Nachgrübeln über mein unglückliches Leben, dass ich mich - es war der 19. Jänner 2002 - auf die Baumgartner Höhe einliefern ließ." Was, Frau Schwaiger, muss geschehen, dass ein Mensch zum Telefonhörer greift, die Rettung anruft und darum bittet, in ein psychiatrisches Spital eingeliefert zu werden?
Brigitte Schwaiger: Wenn er nicht mehr weiter kann. Wenn so viel geschehen ist, dass er sich nicht mehr hinaussieht. Wenn niemand da ist, auf den er sich stützen kann und sagen "horch zu, schreckliche Dinge sind geschehen". Wenn man das Gefühl hat: Ich schaff's jetzt nicht mehr, mich normal zu benehmen. Entweder ich spring' aus dem Fenster, oder ich krieg einen Tobsuchtsanfall - irgendwas ganz Abnormales ist mit mir, und Hilfe-Hilfe, 144! Und das empfehle ich allen.

Die Rettung hat Sie dann in die Baumgartner Höhe gebracht?
Ja, die waren sehr nett.

Wie war das damals? Es war das erste Mal?
Es war das erste Mal. Die Rettung war also sehr nett, nur eines war jedes Mal sehr störend - ich bin ja dann öfter in den letzten fünf Jahren mit der Rettung hinauf, was auch ein Beweis dafür ist, dass es ohne eine stationäre Psychiatrie nicht geht. Eines also ist sehr unangenehm. Die Rettung will, dass man sich hinlegt, sofort, im Rettungswagen. Man darf nicht sitzen, man muss liegen. Und das zweite, und was sehr, sehr unangenehm ist: "Ihre Papiere bitte", und dass man in diesem sozusagen "abnormalen Zustand", wo man außer sich ist eigentlich, da muss man dann vernünftig sein und muss die Versicherungsnummer wissen, den Familienstand... Also das ist eine schwere Belästigung.

Wie muss man sich die Station vorstellen, in die Sie gebracht wurden?
Ich war froh. So, jetzt bin ich da, jetzt kann mir nix mehr passieren. Weil wenn ich jetzt irgendwas Unüberlegtes tu, dann ist Personal da, die beschützen mich davor. Man möge sich das so vorstellen, dass das eine Oase ist. In der Großstadt Wien muss man sich ja allein wegen des vielen Verkehrs normal benehmen - man darf nicht bei Rot über die Kreuzung etcetera. Und dort ist es so, da brauchst nimmer normal sein. Da sagt dann jemand "nehmen's Platz", und meistens schleicht sich dann schon ein Mitpatient an und schaut einen an, und wenn man weint, kriegt man ein Papiertaschentuch. Es ist dort - trotz allem, was man vorbringen mag gegen die stationäre Psychiatrie - im ersten Moment, in den ersten Minuten, eine Oase.

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 28. Juni 2007, 21:01 Uhr

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Buch-Tipp
Brigitte Schwaiger, "Fallen lassen", Czernin Verlag 2006, ISBN 9783707600827

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CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop