Zum europäischen Jahr der Chancengleichheit
Jenseits von "homo" und "hetero"
"Queer" war lange ein Schimpfwort für Lesben, Schwule, Transsexuelle und andere "Gender Outlaws", die nicht so recht in die (hetero)sexuellen Normen passten. Die "Queer Studies" drehen den Spieß um und fragen, wie diese Normen hergestellt werden.
8. April 2017, 21:58
"We're here, we're queer - get used to it!" Zornig und kämpferisch zog eine junge Generation lesbischer und schwuler Aktivistinnen und Aktivisten Ende der 1980er Jahre in den USA auf die Straße und forderte eine selbstbewusstere Schwulen- und Lesbenpolitik.
Homophobe Tendenzen in der amerikanischen Gesellschaft hatten damals einen neuen Höhepunkt erreicht. Auslöser dafür war die AIDS-Krise, die mit einer massiven Stigmatisierung so genannter "Risikogruppen" einherging.
Infragestellung der herrschenden Machtverhältnisse
Teile der Lesben- und Schwulenbewegung kamen damals zum Schluss, dass es an der Zeit sei, von bisherigen politischen Rezepten abzurücken. Jahrzehntelang hatte man versucht, die Mehrheitsgesellschaft von der eigenen Harmlosigkeit zu überzeugen und Toleranz und Minderheitenrechte für Schwulen, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle gefordert.
"Die AIDS-Krise zeigte jedoch, dass diese Strategie dort scheitern musste, wo sich die dominante Gesellschaft in irgendeiner Form bedroht fühlte", sagt die Hamburger Philosophin und Queer-Theoretikerin Antke Engel. "Es hat dann eine Bewegung gegeben, die gesagt hat, es geht nicht darum, Nischen für Minderheiten zu erkämpfen, sondern darum, die Strukturen der dominanten Gesellschaft in Frage zu stellen - Strukturen, die auf Heterosexualität gründen und Strukturen, die mit einer rigiden Unterscheidung von Männlichkeit und Weiblichkeit als den einzigen Geschlechtern einhergehen."
Die Genese der Queer Studies
Teil dieser neuen Strategie war die symbolische Aneignung des Wortes "queer" - eines der ärgsten Schimpfwörter, das das Englische für Homosexuelle kennt. Von den ursprünglich Beschimpften zu einer positiven (Selbst-)Bezeichnung umgedeutet, machte der Begriff "queer" in den 1990er Jahren nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich Karriere - in Form der fächerübergreifend arbeitenden "Queer Studies".
Wissenschaftshistorisch haben sich die Queer Studies aus der feministischen Theorie, den Gender Studies und der schwulen und lesbischen Forschung heraus entwickelt. Wie der queeren Bewegung geht es auch ihnen darum, starre Denkmuster über Sexualität und Geschlecht aufzulösen. Sie schärfen den Blick dafür, wie stark sexuelle Normen unseren Alltag, unsere Institutionen, unser Bildungssystem und die ökonomische Ordnung prägen.
Die Queer Studies florierten zunächst vor allem an us-amerikanischen und kanadischen Universitäten. Seit einigen Jahren beginnen sie aber auch, im deutschen Sprachraum Fuß zu fassen.
Wider die Eindeutigkeit - quer durch die Disziplinen
Geschlechteridentitäten sind nicht von Natur aus gegeben, sondern immer das Ergebnis sozialer und kultureller Konstruktion, betonen die Queer Studies. Wie schon die feministische Theorie verbreiten die Queer Studies damit "Gender Trouble" (Judith Butler) - und das quer durch die Disziplinen.
Die Literatur- und die Filmwissenschaften, die Psychologie, die Soziologie und die Politikwissenschaft sind jene Fächer, die sich bislang am intensivsten mit queeren Forschungsfragen beschäftigen. Am meisten Zurückhaltung gibt es noch in den Natur- und in den Rechtswissenschaften.
Dabei wären gerade letztere ein genuiner Bereich der Queeren Theorie, ist Elisabeth Holzleithner vom Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien überzeugt. "Wir bekommen alle nach der Geburt ein Geschlecht eingetragen in den Personenstand, und das begleitet uns das ganze Leben - außer wir wechseln es." Aus einer queeren Perspektive gelte es zu fragen, wie das Recht Geschlecht herstellt und wie das Recht bestimmt, wer wir aufgrund unseres rechtlich fixierten Geschlechts für einander sein können. Fragen, die nicht nur im Kontext der Debatte um die "Homo-Ehe" von höchster gesellschaftspolitischer Brisanz sind.
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 4. Juni 2007, 19:05 Uhr
Buch-Tipps
Judith Butler, "Das Unbehangen der Geschlechter", aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke, Suhrkamp Verlag, ISBN 3518117224
Antke Engel, "Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Repräsentation", Campus, ISBN 3593371170
Annamarie Jagoese, "Queer Theory. Eine Einführung", Querverlag, ISBN 3896560629
Elisabeth Holzleithner, "Recht Macht Geschlecht. Legal Gender Studies. Eine Einführung", WUV Universitätsverlag, ISBN 3851146999
Links
Institut für Germanistik, Universität Wien - Queer Studies
Österreichische HochschülerInnenschaft - kwowo - das Queer KoVo
Institut für Queer Theory