Der Siegeszug einer Speise

Global Sushi

Europäische und nordamerikanische Reisende, die im 19. Jahrhundert nach Japan kamen, fanden die Idee, rohen Fisch zu essen, noch reichlich absurd. Heute bekommt man Sushi in jedem besseren westlichen Supermarkt. Was ist das Erfolgsgeheimnis von Sushi?

Wolf Haas' legendäre Romanfigur Brenner wehrte sich Ende der 1990er Jahre noch mit Händen und Füßen gegen den Genuss von Sushi: "Ein roher Fisch in Wien kann nicht frisch sein." Doch absolute Sushi-Verweigerer wie Brenner sind mittlerweile selten geworden. Seit den 1970er Jahren haben die kleinen Bällchen aus Reis und rohem Fisch eine bemerkenswerte Karriere hingelegt und sind zu einem der Symbole der kulinarischen Globalisierung schlechthin geworden. In den USA bekommt man Sushi heute nicht mehr nur in der exklusiven Sushi-Bar in der 5th Avenue in New York, sondern auch schon fast in jedem Supermarkt und in der Schulkantine.

"Ein Grund ist, dass Japan in den 1970er und 1980ern eine so bedeutende Wirtschaftsmacht wurde, dass sich die Menschen einfach für Japan zu interessieren begannen", erklärt der Kulturanthropologe Theodore B. Bestor von der Harvard University.

"Der andere Grund ist, dass Sushi einer wachsenden Vorliebe für einfaches Essen entgegenkommt. Sushi ist zwar keine wirklich simple Speise, aber man sieht genau, welche einzelnen Zutaten man isst, und man kann sich aussuchen, ob man lieber ein Stück mit Thunfisch oder eines mit einer Garnele hätte. Ich glaube, Sushi war einfach die richtige Speise zur richtigen Zeit, als die Menschen gesundheitsbewusster wurden und der Fischverbrauch stieg und stieg."

Sushi und die globale Fischereiindustrie

Theodore Bestor, der sich jahrelang mit dem Tokyoter Fischmarkt Tsukiji - der "Wall Street" des internationalen Fischhandels - beschäftigt hat, arbeitet gerade an seinem neuen Buch "Global Sushi: Soft Power and Hard Reality". Letzte Woche präsentierte er seine Thesen bei der fächerübergreifenden Tagung "Sushi in Rome. On travelling objects to and from Europe since 1945" am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien.

Die weltweite Karriere von Sushi setzte nicht zufällig mit einer tief greifenden Veränderung der japanischen Fischereiindustrie ein, sagt Theodore Bestor. Die Ausweitung der exklusiv für die nationale Fischerei bestimmten Zonen auf 200 Meilen überall auf der Welt schloss damals ausländische Flotten von den Hauptfischgründen vieler Küstennationen aus. Viele Länder, darunter auch Japan, mussten nicht zuletzt aufgrund internationaler Umweltkampagnen ihre Hochsee-Flotten verkleinern.

Der geschrumpften Fischindustrie stand jedoch eine steigende Nachfrage nach Sushi gegenüber. Stärkere Kooperationen mit ausländischen Fischanbietern waren also notwendig, erklärt Theodore Bestor. Eine global integrierte Fischindustrie ermöglichte es, frische Fische aus aller Welt nach Tokyo einzufliegen. Sushi wurde dadurch unabhängiger von bestimmten Fischsorten und Fangperioden - und zum global verfügbaren Produkt. Mit allen ökologischen Konsequenzen: Der Druck auf die Fanggründe steigt.

Sushi als Zeichen von Weltgewandtheit

Sushi zu essen, gehört heute nicht mehr nur in Japan, den USA und Europa, sondern auch in Lateinamerika, Südostasien und China zum urbanen Lifestyle. Der besondere Reiz von Sushi liegt darin, dass es exotisch, aber leicht erhältlich ist, erklärt Theodore Bestor. "Sushi zu essen gilt gleichsam als Zeichen für Weltgewandtheit und Weltbürgerschaft."

Sushi verändert im Zuge seiner globalen Wanderschaft nicht nur die Esskultur der Europäer oder Amerikaner, sondern auch sich selbst. Je nach lokalem Kontext können die einzelnen Zutaten stark variieren - sehr zum Missfallen von Sushi-Chefs in Japan, die traditionelle Rezepte pflegen. Sushi könnte eines Tages vielleicht so etwas wie das Sandwich werden, meint Theodore Bestor. "Das kam ja angeblich aus England, wird aber heute von niemanden mehr mit England assoziiert."

Hör-Tipp
Dimensionen-Magazin, Freitag, 8. Juni 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipp
Theodore B. Bestor, Tsukiji, "The Fish Market at the Center of the World", University of California Press, ISBN 0520220242

Links
IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
Harvard University - Theodore B. Bestor