Jagd nach dem Yorkshire Ripper
1980
"1980" ist der dritte Teil des "Red Riding Quartets", mit dem David Peace zu einer der wichtigsten Stimmen der neuen englischen Literatur avancierte. In "1980" widmet sich Peace dem Yorkshire-Ripper und - mehr noch - den Polizisten, die ihn jagen.
8. April 2017, 21:58
In seinem "Red Riding Quartet" beschreibt David Peace das England der 1970er und 1980er Jahre. Der dritte Teil, "1980", spielt während der letzten Wochen des Jahres 1980. Die Angst, die der Yorkshire Ripper verbreitet, ist in Nordengland überall zu spüren. Frauen trauen sich nicht mehr auf die Straße, Studentinnen wird geraten, ihre Weihnachtsferien früher als gewohnt anzutreten, Pop-Konzerte werden abgesagt, weil die Veranstalter die berechtigte Befürchtung hegen, dass ohnehin niemand kommen würde.
Auch bei jenen, die das Phantom jagen, liegen die Nerven blank. Die Polizei von Yorkshire hat sich im Laufe der letzten Jahre wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Obwohl es Dutzende Spuren und Hinweise auf den Massenmörder gab, obwohl - wie sich später herausstellen sollte - der Täter schon mehrmals von der Polizei verhört wurde, tappen die Ermittler nach wie vor im Dunklen.
Von den eigenen Dämonen gejagt
Im November 1980 nun kommt es zur Gründung des "Ripper Super Squad". Der bis dato verantwortliche George Oldfield, dem die Jagd nach dem Ripper zur Obsession geworden war, die er im August 1979 mit einem Herzinfarkt bezahlen musste, wird durch James Hobson ersetzt. Und hier nun hakt David Peace mit seinem Roman "1980" ein. Bei ihm heißt der neue Ermittler Peter Hunter und ist ein Mann, der von seinen eigenen Dämonen verfolgt wird. In seiner Ehe läuft so manches schief, schlafen kann Peter Hunter schon lange nicht mehr. Und wenn er doch einmal einnickt, verfolgen ihn Albträume. Obwohl Hunter aus dem nahe gelegenen Manchester kommt, hasst er seinen neuen Arbeitsort Leeds.
Leeds, das verdammte Leeds: das mittelalterliche Leeds, das viktorianische Leeds, das zubetonierte Leeds... Betonierter Verfall, betonierter Mord, betonierte Hölle... Eine zubetonierte Stadt... Tote Stadt: Nur Krähen, Regen und der Ripper...
Wiederholungen, Sätze die abreißen, dann irgendwo wieder beginnen. Handlungsstränge, die sich im Nichts verlieren. Namen von getöteten Frauen, Namen von Polizisten, Namen von Verrätern. Alles verschwimmt. Grandios gelingt es David Peace, die bedrückende Atmosphäre der angstgesättigten englischen Provinz dem Leser zu vermitteln.
Das erste "unschuldige" Opfer
Das einschneidendste Erlebnis seiner Jugend, sagte David Peace in einem Interview, sei der 26. Juni 1977 gewesen, der Tag, an dem Jayne McDonald ermordet wurde. Sie war Verkäuferin und erst 16 Jahre alt, als sie dem Yorkshire Ripper zum Opfer fiel. Obwohl sie bereits die fünfte Frau war, die vom Ripper bestialisch ermordet wurde, begann sich die Öffentlichkeit erst ab diesem Zeitpunkt für die Causa zu interessieren, denn Jayne McDonald war das erste "innocent vicitim", das erste unschuldige Opfer, wie es damals überall hieß. Die anderen Frauen waren "bloß" Prostituierte gewesen.
David Peace widmet sich in "1980" weniger dem Täter und den Opfern. Er setzt sich mit den Ermittlungsbehörden auseinander. Die verfolgen - in der Realität genauso wie im Roman - noch immer eine falsche Spur. Sie suchen nach jener Person, die 1978 und 1979 dem Ermittler Oldfield Briefe und ein Tonband geschickt hatte. Dieses Band wurde im England der späten 1970er Jahre auf und ab gespielt. Als man dann Peter Sutcliffe endlich festnahm, war klar: Die Bekennerbriefe und das Band stammten nicht vom Ripper.
Real und fiktiv
Um "1980" auch wirklich mit dem Jahreswechsel enden lassen zu können, begeht David Peace einen kleinen, aber ärgerlichen Kunstgriff. Er datiert die Verhaftung des Yorkshire-Rippers auf den 30. Dezember 1980. In Wirklichkeit aber wurde Peter Sutcliffe erst am 2. Januar 1981 verhaftet.
Überhaupt ist nicht ganz nachvollziehbar, wann sich David Peace an die Fakten hält und wann und warum nicht. So heißt der reale George Oldfield bei ihm George Oldman, der Ripper heißt nicht Peter Sutcliffe sondern Peter David Williams und stammt nicht aus Bingley bei Bradford, sondern aus Heaton bei Bradford. Andererseits aber zitiert er wortwörtlich aus jenem 32 Seiten starken Protokoll, das nach der Verhaftung Sutcliffes angefertigt wurde und in dem der Ripper über seine Taten Auskunft gibt.
Fazit: Als düsterer Roman funktioniert "1980" ausgezeichnet, als Geschichte über den Ripper taugt der Roman aber nur bedingt. Wer mehr über Peter Sutcliffe, seine Familie und das Nordengland der späten 1970er Jahre wissen will, dem sei Gordon Burns 1984 erschienenes Buch "Somebody's Husband, Somebody's Son" empfohlen, das bis heute als Standardwerk gilt.
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 10. Juni 2007, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
David Peace, "1980", aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg, Liebeskind Verlag, 2007, ISBN 978-3935890434