Wie eine Familien-Soap
Franny und Zooey
Die Studentin Franny und der Schauspieler Zooey, unangepasste Außenseiter, sind die Hauptpersonen des Romans von J. D. Salinger. Den Leser versetzt der Autor in die Situation eines Fernsehzuschauers, der in eine Familien-Soap hineinzappt.
8. April 2017, 21:58
"Eine solche Familie habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen", heißt es in "Franny und Zooey" einmal. Die Studentin Franny und der Schauspieler Zooey, unangepasste Außenseiter, sind die jüngsten der sieben Kinder zweier Varieté-Artisten. Die rätselhaften und offenkundig bizarren Biografien ihrer fünf Geschwister werden in den zwei Erzählungen mehrfach angespielt, doch eines ist allen sieben gemeinsam: der Status des Wunderkinds - von 1927 bis 1943 war immer ein Glass-Kind Star des Radioquizes "Kluges Kind".
Sensible junge Frau
Die Franny gewidmete, konventionell erzählte, kühle, klare und grausame Geschichte protokolliert den Zusammenstoß einer begabten, hochsensiblen jungen Frau mit jener Banalität und Mittelmäßigkeit des amerikanischen Erziehungswesens, an der schon Holden Caulfield, die Hauptperson des 1951 erschienenen "Fänger im Roggen", litt.
Der Zusammenbruch Frannys am Ende ereignet sich in einer geschlossenen Welt, er ist nachvollziehbar, nichts ist verrätselt und es gibt keine Anspielungen auf dem Leser unbekannte Ereignisse aus der Vorgeschichte der Figur. Doch in der nachfolgenden Konfrontation mit Zooey wimmelt es von solchen - abwesende Geschwister, über die wir auch aus den übrigen Veröffentlichungen Salingers nichts wissen, schleichen sich - so der Erzähler - "wie Banquos Geist in die Handlung". Dieser Erzähler - wohl der abwesende und dennoch im Zentrum stehende Bruder Buddy - beschreibt seine Technik als "Heimkinoprosa" und tatsächlich verdeckt der Text seinen weitgehend dialogischen Charakter durch slapstickhafte Szenen.
Lustig und traurig
Salinger versetzt den Leser in die Situation eines Fernsehzuschauers, der in eine Familien-Soap hineinzappt - den Figuren ist ihre Vorgeschichte selbstverständlich, manchmal ist die Handlung gewollt lustig, manchmal traurig, in jedem Fall exaltiert. Nur: Unser flüchtiger Zuschauer bleibt außerhalb der Handlung. Zooey bleibt unergründlich.
Tod, Selbstmord und berufliche Selbstaufgabe haben sich unter den Kindern der Familie Glass ereignet, die Überlebenden sind möglicherweise traumatisiert und verbergen diese Befindlichkeit unter einem exzentrischen Verhalten. Doch das ist eine Spekulation, die offenkundige Problematik der Familie bleibt trotz zahlreicher zu Deutungen einladender Anspielungen auch für den kundigen Leser geheimnisvoll.
Fragmentarische Charakterdarstellung
Mehr als 20 Jahre hat sich Salinger mit den Glassens beschäftigt und das veröffentlichte Ergebnis scheint den Aufwand nicht wirklich zu rechtfertigen. Was ist hier geschehen? Ist Salinger am ehrgeizigen Projekt eines großen amerikanischen Familienromans gescheitert, weil er - so einer der Meister desselben, John Updike, - seine Familie Glass zu sehr liebte? Oder ist die Frustration, die man als Leser der Zooey gewidmeten Geschichte verspürt, nur die Folge des fragmentarischen Charakters des bisher publizierten Werkes und werden wir uns im Nachlass Salingers erfolgreich in mehreren Bänden auf die Suche nach der verlorenen Zeit der Familie Glass begeben können? Die Frage bleibt offen - auf die Hilfe Salingers können wir wohl nicht zählen.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Jerome D. Salinger, "Franny und Zooey", aus dem Englischen übertragen von Elke Schönfeld und Harald Hellmann, Verlag Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3462037708