Probieren Sie es einfach aus
Zeitnah schmeckt wie Plastik
Eine gewisse Sensibilität auf Lautmalerei löst bei bestimmten Wörtern Würgereflexe aus, trotzdem gibt es Leute, die damit hantieren. Mit den Wörtern. Wenn man sich darauf einlässt, kommen so Sachen wie Zitroneneis und Straßenkehrer, die einen in den Schlaf wischen.
8. April 2017, 21:58
Zeitnah. Was sagen Sie dazu? Zeitnah, zeitnah, zeitnah. "Um möglichst zeitnahe Überweisung wird gebeten." Muss ich mich jetzt freuen? Eigentlich schon, weil nicht ich "zeitnah" überweisen soll, sondern eine Firma, die in unserem Haus was verbockt hat. Das kostete mich 240 Euro. Die krieg ich zurück, laut Mail der Hausverwaltung, und zwar, Sie wissen schon.
Ehrlich: Ich hab begonnen, mir die Augen aus dem Kopf zu lesen, sobald ich lesen konnte, hab mich auf dem Klo versteckt und gelesen, um nicht im Gasthaus der Eltern helfen zu müssen, unter der Bettdecke, heimlich in der Schule, hab gelesen, statt Bürgerkunde und Rechtslehre zu lernen, in Zügen, U-Bahnen und auf Almhütten, aber so ein Wort ist mir noch nie untergekommen.
Das Mail von der Hausverwaltung kam heute am Nachmittag. Jetzt ist es Mitternacht und ich bin besessen. Anfangs war ich mir nicht sicher, aber mittlerweile bin ich überzeugt: Das ist kein gutes Wort. Nicht einfach nur schräg, so wie "innert". "Innert" ist seltsam, aber schön, weil es sich im Kopf wie weißes Zitroneneis anfühlt und genauso kühl ist. Innert. Das leuchtet ein kleines bisschen. Aber "zeitnah"? Beim Versuch, dieses Wort mehr als fünf Mal hintereinander zu wiederholen, wird mir übel. Probieren Sie's aus. Hellgraues Plastik, ganz glatt, lauwarm.
Eine gewisse Sensibilität auf Lautmalerei lässt sich nicht leugnen. Es gibt werdende Mütter, die kotzen auf den Geruch von Rindssuppe oder Chanel Nr. 5. Die zwei Sachen, die bei mir heftigsten Würgreflex erzeugten, waren das Rot von Ketchupflaschen und die "Bauwelt"-Werbung im Radio. "Für eine schöne Welt, Bauwelt." In Kombination mit der Melodie (erinnert sich jemand?) mein absolutes Brechmittel. Gut achtzehn Jahre her, wirkt immer noch. Weil, seit ich gedanklich auf diesem "zeitnah" herumkaue, erinnere ich mich ständig an die Bauwelt-Sache und nun ist mir schlecht.
Obwohl ich nicht schwanger bin. Das wär was: Der Knabe wird 18 (sehr zeitnah) und ich leg mir wieder so was in klein zu. In ganz klein. In winzig. Die riechen gut, wenn sie nicht stinken. Im Moment bin ich sehr beliebt bei Jungmüttern. Babys finden mich derart langweilig, dass sie einschlafen, sobald sie mich sehen. Was gut ist, weil besser mit dem Baby im Arm auf der Couch dösen, als Salate anrichten und Steaks einpinseln. Was die Leute alle mit dem Grillen haben! Nachher riecht man geräuchert und muss noch duschen und Haare waschen, obwohl es sauspät ist und man selbst stockmüde und mit Kuchen abgefüllt.
Fallwind. Wie gefällt Ihnen das? Ich hab uns noch ein Wort gesucht (Platz genug in der Kolumne) und das Wörterbuch aufgeschlagen. Das ist wie Pralinen aus einer Schachtel nehmen. Die Hand kreist über den Nussdingern, zögert bei den Weinbranddingern und spitzt sich dann das Nougatzeugs. Fallwind, auch ein schönes Wort. Das fällt und steigt zugleich. Erdbeeraroma mit Sahne durchzogen. Nein. Nicht ganz, ich komm nicht drauf.
Weil aus dem Fenster raus und vier Stock runter wird grad die Straße gekehrt. Eigentlich müsste ich mich innert der nächsten zehn Sekunden ins Bett werfen und zeitnah einschlafen: Das Geräusch, das Straßen machen, wenn sie gekehrt werden, zählt mit zu den schönsten Geräuschen der Welt - vorausgesetzt, die andern Alltagsgeräusche halten die Klappe. Was nach Mitternacht schon vorkommen kann. Am besten ist das um drei Uhr in der Früh, dann wird man direkt in den Schlaf gewischt, wischt, wischt.
"Momo" hab ich übrigens nie gemocht, obwohl da ein Straßenkehrer vorkommt und graue Herren. Oder so. Und die stehlen die Zeit. Glaube ich. Schwachsinn. Obwohl, die wüssten vielleicht, was mit "zeitnah" wirklich gemeint ist. Zum Beispiel in Kombination mit "Überweisung". Muss ich ans Sparbuch ran oder nicht? Nah an welcher Zeit? An der Gegenwart, an der Zukunft oder am Plusquamperfekt? (Noch so ein geiles Wort! Eindeutige Sportgummikonsistenz.) Ich sollte einen Blick auf mein Konto werfen. Demnächst.