Zwischen Boom und Nachdenkpause
Hochhausbau nach 9/11
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stellte sich die Frage nach der Sicherheit von Wolkenkratzern. Vielfach wurde ein Überdenken der Bauhöhe gefordert und zahlreiche geplante Hochhausbauvorhaben wurden vorerst auf Eis gelegt.
8. April 2017, 21:58
11. September 2001. Um 8:45 Uhr steuert der Terrorist Mohammed Atta auf den Nordturm des World Trade Center zu. Das Flugzeug trifft den Turm auf Höhe des 96. Stocks und explodiert im Inneren. Um 9:03 Uhr bohrt sich eine zweite Boeing 767 in den Südturm des World Trade Center. Die Maschine zerreißt mindestens vier Etagen um den 80. Stock, explodiert an der gegenüberliegenden Seite. In den 430 Büros der beiden Türme arbeiten täglich etwa 40.000 Menschen. 2.749 werden dem Anschlag zum Opfer fallen.
"Teuflische Menschenfallen"
Architektonischer Höhenrausch und rasante Flugtechnik haben sich von Anfang an wechselseitig hoch geschaukelt. Dass dies auf destruktive Weise auch für den höllischen 11. September gilt, sollte selbst notorische Hochhaus-Lobbyisten nachdenklich machen.
Dies war im Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Sommer 2002 zu lesen. Der Niederländer Rem Koolhaas, der 1978 mit Delirious New York, einer Studie über den Hochhausbau in Manhattan bekannt geworden war, nannte schon einige Ausgaben zuvor in einem Interview das Hochhaus eine der besten Erfindungen der Menschheit, räumte aber ein, dass man sich Gedanken darüber machen müsse, ob man diese Erfindung weiter nutzen wolle.
Die Attentate vom 11. September haben das 21. Jahrhundert in Sekunden verändert. Auch die Architektur. Zumindest in den USA und Europa muss sich erst noch zeigen, ob Hochhäuser noch zeitgemäß sind.
Die Spiegel-Autoren wiesen 2002 auf die Furcht der Menschen hin, in Bürotitanen arbeiten zu müssen, die zu teuflischen Menschenfallen werden können - mit völlig überforderter Sicherheitstechnik. Will man Hochhäuser so sicher konstruieren, dass sie dem Aufprall eines Jumbo-Jets widerstehen, muss man die Belastbarkeitsreserve der Decken stark verbessern. Rentabel wären solche Gebäude nicht mehr.
Zerstörung eines Symbols
Mitte der 1970er Jahre schrieb der französische Philosoph und Soziologe Jean Baudrillard, dass die beiden Türme des World Trade Center die ökonomische Form des Monopols und die bipolare Welt repräsentierten. Die Türme bedeuteten damals die Spiegelung der Macht in sich selbst, ein vollkommenes End-Stadium. Anfang März 2002 zeigte sich Baudrillard in einem Profil-Interview verwundert, dass beide Türme getroffen wurden.
Wäre nur ein Turm getroffen worden, hätte das ganze Ereignis einen anderen Sinn bekommen. Zerstört wurde der architektonische Gegenstand, aber man zielte auf die symbolische Gestalt der Macht. Und mit dem Einsturz hatte es den Anschein, als wären die Türme müde geworden, das überschwere Symbol der Macht weiter zu tragen.
Fortschrittsgläubigkeit
War es gerade diese Symbolkraft, die jene bestärkte, die eine Rückkehr zur Normalität forderten? Der Architekt Christoph Mäckler, der am Frankfurter Opernplatz ein 168 Meter hohes Bürogebäude errichtete, gab sich bereits im April 2002 wieder fortschrittsgläubig: "Man hat nach dem Untergang der 'Titanic' doch auch weiterhin große Schiffe gebaut - sogar solche, in die eine 'Titanic' mehrfach hineinpassen würde."
Nicht nur Christoph Mäckler zeigte sich kurz nach den Anschlägen vom 11. September wieder himmelsstürmerisch. Aus der Ferne, so Renzo Piano damals, werde niemand die Grenze zwischen seinem Shard London Bridge Tower und dem Himmel erkennen können. Kritiker meinen, der Architekt hätte einfach die berühmte Glaspyramide vor dem Louvre in die Länge gezogen - auf eine Höhe von 306 Metern. 9/11 führte hier nur zu einer Verzögerung: 2011 soll das nach dem Moskauer Hochhaus "Federation" zweithöchste Gebäude Europas fertig sein. Als Baubeginn wird der Februar 2008 genannt.
Zurückhaltung in Deutschland
In Deutschland hingegen dauert die Vertrauenskrise in das Hochhaus an, wie vom "Spiegel" prognostiziert. Der von Albert Speer in Frankfurt geplante 369 Meter hohe Millennium Tower sollte heuer eröffnet werden. Heute ist die Verwirklichung dieses 91 Stockwerke hohen Turms ungewiss bis unwahrscheinlich.
Weiter fort geschritten waren die Pläne für einen 180 Meter hohen Trump-Tower in Stuttgart. Die Grundstücke waren bereits gesichert, Anfang 2003 führten Zweifel an der Finanzierung dazu, dass das Vorhaben von der Stadt nicht weiter verfolgt wurde. Im Projektstadium verblieben auch die weiteren 2001 diskutierten Hochhauspläne. Das auf 288 Meter Höhe projektierte Lighthouse in Hamburg ebenso wie ein 151 Meter hohes neues Domizil für den Süddeutschen Verlag in München. Dort gelang es einem Bürgerbegehren, weitere Hochhäuser zu verhindern.
Mehr zu Hochhäusern in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 16. Juni 2007, 17:05 Uhr
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