Den Finger auf offene Wunden gelegt
Im Krebsgang voran
Probleme lösen kann auch ein kritischer Intellektueller wie Umberto Eco nicht. Sie aufzeigen, da und dort den Finger auf offene Wunden legen, kann er hingegen sehr wohl. Seine Essays zum Thema Krieg sind anregende, bisweilen sogar amüsante Lektüre.
8. April 2017, 21:58
Umberto Eco mag ein mittelmäßiger Romancier sein. Nach dem "Namen der Rose" - seinem einzigen Meisterwerk - hat der Semiotiker aus Bologna nach Meinung vieler Literaturkritiker keinen bedeutenden Roman mehr geschrieben. Auf dem Gebiet des philosophischen Essays aber ist Umberto Eco nach wie vor eine europäische Größe.
Davon kündet nicht zuletzt sein jüngster Essayband "Im Krebsgang voran". Auf 320 Seiten beschäftigt sich der 75-jährige Italiener mit den Auswüchsen des New Age und dem Fortdauern antisemitischer Stereotype, mit der Macht des Unterhaltungsfernsehens und dem Aufstieg des Medien-Populisten Silvio Berlusconi. Zeitphänomene aller Art werden da kritisch beleuchtet.
Kriegführen als unabwägbares Risiko
Einer der spannendsten Texte des Bands ist dem Thema "Krieg und Frieden" gewidmet. In seinen instruktiven Überlegungen grenzt Eco den so genannten "Neukrieg" des frühen 21. Jahrhunderts vom "Altkrieg" historischer Prägung ab. Der "Neukrieg" - ob im Irak, in Afghanistan oder Ende der 1990er Jahre im Kosovo - ist eine unübersichtliche und hochkomplexe Sache. Die Kriegsparteien sind nicht wie früher durch klare Linien getrennt, sondern durch vielfach verschlungene Serpentinen. Das macht Kriegführen zum unabwägbaren Risiko für die, die immer noch Kriege führen wollen.
Dazu kommt der Einfluss der Massenmedien. Die moderne Medieninformation, so Umberto Eco, macht es nationalistischen Kriegstreibern - zumindest im Westen - schwer, das massenhafte Abschlachten der Gegner als patriotische Großtat hinzustellen. Daran änderten auch innovative Machinationen wie der "Embedded Journalism" nichts, mit dem das Weiße Haus im Dritten Golfkrieg 2003 kritische Berichterstattung unterbinden wollte.
Keine Freude mit Sieg
"Neukriege", so behauptet Umberto Eco, sind nicht mehr zu gewinnen. Und wenn sie doch gewonnen werden, wie in Afghanistan, werden die Sieger ihres Erfolgs nicht froh. Eco glaubt dennoch nicht, dass wir auf eine friedlichere Weltordnung zusteuern, wie Francis Fukuyama in seinem Bestseller "Das Ende der Geschichte" noch 1992 insinuiert hatte.
Ich glaube nicht, dass man in dieser Welt voller Menschen, die für ihre Mitmenschen Wölfe sind, jemals den globalen Frieden erreichen wird. Dies war es ja letztlich, was Fukuyama mit seiner Idee vom "Ende der Geschichte" meinte, aber die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass die Geschichte weitergeht, und zwar immer in Form von Konflikten.
Wir leben in einer kriegerischen Welt, so Eco. Und vieles spricht dafür, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird.
Übertriebene "Political Correctness"
In einem seiner Essays singt Umberto Eco das Hohelied des gesunden Menschenverstands. So vernunftwidrig und irrational es oft genug zugehen mag auf der Welt, Aufklärung, so Eco, ist dennoch möglich. Würde er daran nicht glauben, der bekennende Anti-Fundamentalist würde sich kaum so enragiert einmischen in die Kämpfe dieser Welt.
"Über das politisch Korrekte" heißt ein anderer Aufsatz; in ihm macht sich Eco über die Verkrampfungen der "Political Correctness" lustig. Im Prinzip sei es ja in Ordnung, so Eco, dass man zu Menschen dunkler Hautfarbe nicht "Neger" sagt, wenn diese sich durch die Bezeichnung verletzt fühlen. Mit einem zentralen Paradigma der Political Correctness kann Eco sich durchaus anfreunden: dass die Angehörigen einer Minderheit selbst bestimmen, wie sie von der Mehrheit genannt werden wollen.
Gar nicht so selten allerdings wird im Bestreben, um Gottes Willen nur ja politisch korrekt zu sein, die Grenze zur Skurrilität überschritten, etwa wenn die italienischen "spazzini", also die ehrbaren Straßenkehrer und Müllmänner von Mailand oder Messina, in Hinkunft "operatori ecologici" genannt werden wollen: Ökologiefacharbeiter.
Der springende Punkt ist nämlich, dass die Political-Correctness-Entscheidung oft eine Art und Weise darstellt, ungelöste soziale Probleme zu umgehen, indem man sie durch einen höflicheren Sprachgebrauch kaschiert. Wenn man beschließt, die Rollstuhlfahrer nicht mehr "Behinderte" zu nennen, sondern "Anders Befähigte", aber nicht die Auffahrtsrampen zu öffentlichen Orten baut, dann hat man heuchlerisch das Wort abgeschafft, aber nicht das Problem gelöst.
Anregende Lektüre
Probleme lösen kann auch ein kritischer Intellektueller wie Umberto Eco nicht. Sie aufzeigen, da und dort den Finger auf offene Wunden legen, kann er hingegen sehr wohl. Dass der italienische Zeitdiagnostiker seine Essays mit stupender Gelahrtheit unterfüttert, dass er sie oft genug auch mit einer Prise Humor würzt, macht sie zu einer anregenden, bisweilen sogar amüsanten Lektüre.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Umberto Eco, "Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus", aus dem Italienischen übersetzt von Burkhart Kroeber, Hanser Verlag, 2007, ISBN 978-3446208377