Geschichte eines Berges
Der Vesuv
Der Vesuv ist mehr als ein Berg: In seinem Buch erzählt Dieter Richter die "Biografie" des neapolitanischen Wahrzeichens, von der Zeit um 25.000 v. Chr. bis heute. Richter vermittelt eine Fülle an Bildern, Fakten, Legenden und Stimmungen.
8. April 2017, 21:58
In einer Region gelegen, die seit alters zu den schönsten Gegenden der Erde gezählt wird, heute eine ihrer am dichtesten besiedelten ist, entfachte der Berg wie kein anderer Staunen, Schrecken und Bewunderung, entzündete die Frage nach dem Charakter der Natur, stimulierte das Nachdenken über die Ursachen der unterirdischen Brände und wurde zur Geburtsstunde der modernen Vulkanologie.
So Dieter Richter, Professor für Literaturgeschichte in Bremen, der in seinem Buch mit dem schlichten Titel "Der Vesuv. Geschichte eines Berges" die "Biografie" dieses neapolitanischen Wahrzeichens erzählt, von der Zeit um 25.000 vor Christus bis heute, von der Entstehung des Monte Somma an der Subduktionszone von afrikanischer und eurasischer Kontinentalplatte bis zur Einrichtung eines Museums zur Geschichte des Vesuvs im historischen Gebäude des Observatoriums im Jahr 2000.
Der Vesuv im Spiegel der Zeiten
Der Vesuv am Golf von Neapel, der zum letzten Mal vor 63 Jahren ausbrach, ist der einzige noch nicht erloschene Vulkan auf dem europäischen Festland. Er ragt 1.281 Meter über den Meeresspiegel und misst einen Gesamtdurchmesser von rund 15 Kilometern. Bis heute hat man über 70 Ausbrüche des in seiner heutigen Form im Jahre 79 nach Christus entstandenen Vesuvs mit dem Doppelgipfel des Monte Somma und dem aus Ascheschichten und Lavaströmen gebildeten Vulkankegels gezählt.
Doch nackte Daten sind nicht das Thema von Dieter Richter. Ihm geht es in seinem ebenso anschaulichen wie kurzweiligen, zitatenreichen Bilder- und Lesebuch um den Vesuv im Spiegel der Zeiten, um die Verquickung von Natur- und Kulturgeschichte. Naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, Reise- und Katastrophenberichte, Gedichte, Lieder und Chroniken werden ausgewertet, ohne mit übertriebener Ausführlichkeit oder demonstrativer Gelehrsamkeit zu ermüden.
Berg der Herausforderung
Der Vesuv war eine Herausforderung - nicht nur für die Neapolitaner und nicht nur für die frühen Abenteuerreisenden. Vor allem auch für die Wissenschaftler und Philosophen, die die Ursachen des Vulkanismus zu ergründen suchten. Der Vesuv wurde zum Anlass, über Bau und Entstehung der Erde zu spekulieren, über die Rolle der Elemente Wasser, Wind und Feuer. Man sah in ihm eine "subterranea oeconomia" wirken, eine "unterirdische Wirtschaft", die den Haushalt der Erde bilde, oder verglich ihn mit einer Kanone, gefüllt mit Schwefel und Schwarzpulver. Alexander von Humboldt hielt Vulkane für Öffnungen, an denen "die geschmolzenen Massen des inneren Erdkörpers an die Oberfläche gelangen". Die Geschichte der Erde, sagt Dieter Richter, wird ab da zu einer Geschichte der Katastrophen.
Ein "majestätischer Verbrecher" wurde der Vesuv genannt, aber auch ein "wohlbekannter Wonnekessel", ein "Mordbrenner" und "Zerstörer", aber auch ein "Wohltäter", der die nötige Triebabfuhr der Erde gewährleiste. Lange Zeit sah man in den unheilvollen Lavamassen ein göttliches Strafgericht, das dem sündhaften Menschen Angst und Schrecken und Tod beschert. Die Vulkankatastrophe als Nemesis.
Gemalt, beschrieben und besungen
Erst das 18. Jahrhundert sorgte für eine Säkularisierung des Vesuvs. Jetzt loderte in ihm nicht mehr das Fegefeuer, jetzt galt er vor allem als "großes, geisterhebendes Schauspiel", wie Goethe sich ausdrückte, als Objekt einer Ästhetik des Erhabenen. "Habe Dank, Natur, wo du heraus gehst aus deiner Werkeltags-Geschäftigkeit und dich erweisest als Götterbraut und Weltenkönigin", schrieb ein verzückter Grillparzer.
Unendlich oft wurde der majestätische Vesuv gemalt, beschrieben und besungen, immer mehr Menschen fanden den Weg nach Kampanien, nicht zuletzt viele Prominente: Herder und Nietzsche, Hauptmann und Andersen, die Prinzessin von Esterhazy und Herzogin Anna Amalia, Mozart und de Sade.
Sinnlichkeit und Lust
Der Vesuv steht immer auch für erotische Konnotationen. Ein Berg, der nicht nur wohligen Schauder erzeugt, nicht nur Schönheit, Gewalt und Zerstörung verkörpert, sondern von jeher auch Sinnlichkeit und Lust.
"Die Gegend am Vesuv war im Altertum eine der schönsten Gegenden des römischen Imperiums, eine fruchtbare Gegend. Venus war die Schutzpatronin von Pompeji", erklärt Richter. "Am Vesuv zeigt sich immer die Nähe von Paradies und Hölle, so haben es die Besucher auch verstanden, die diesen Berg beschrieben haben."
Dieter Richters Vesuv-Geschichte ist ein kluges, bei aller Belesenheit und Kennerschaft doch unaufdringliches, souverän "Erzählung" und Zitat montierendes Buch, das auf gut 200 Seiten eine erstaunliche Fülle an Bildern, Fakten, Legenden und Stimmungen expliziert: für den Literaturliebhaber genauso ergiebig wie für den Italienreisenden und den Kulturgeschichte-Interessierten.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Dieter Richter, "Der Vesuv. Geschichte eines Berges", Wagenbach Verlag, 2007, ISBN 978-3803136220