Der Klimawandel bedroht die Polarvölker
Schutzlose Arktis
In der Arktis vollzieht sich der Klimawandel zwei mal schneller als im globalen Durchschnitt. Das hat schon jetzt fatale Auswirkungen für die Polarvölker. Die Jagdsaison verkürzt sich dramatisch, Fische und Robben sind mit Schadstoffen vergiftet.
8. April 2017, 21:58
In den kommenden einhundert Jahren wird die durchschnittliche Temperatur in den Sommermonaten in der Arktis drei bis fünf Grad steigen, sagen Wissenschafter voraus. Sowohl im Inland Sibiriens als auch in Alaska stieg die Temperatur in den vergangenen 30 Jahren um mindestens zwei Grad Celsius.
Gesellschaft für bedrohte Völker
Die Leidtragenden sind die Ureinwohner der Arktis, rund 400.000 Menschen, die in mehreren dutzend indigenen Völkern über die gesamte Arktis verstreut sind - vom Norden Kanadas, Alaskas über Sibirien, Kamtschatka bis nach Nordeuropa, Finnland und Grönland. Die traditionelle Jagd auf dem brüchigen Eis wird gefährlich und die Beute schwindet zusehends.
Für die nächsten 35 Jahre wird ein Rückgang der Eisbärenpopulation in der Arktis um ein Drittel prophezeiht.
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Verlust der Wurzeln
Auch die Robben, die unter dem Eis ihre Nahrung finden, sind massiv bedroht. Die Wassertemperatur nimmt zu - und das wirkt sich auf die gesamte Nahrungskette aus - vom Krill über die Krabben bis hin zu den Fischen, schildert Ulrich Delius von der Gesellschaft für Bedrohte Völker in Göttingen. "Die Leute können nicht mehr ihren traditionellen Lebensformen nachgehen. Viele verfallen dem Alkohol und leben von der Sozialhilfe. Gewalt und Vandalismus werden zunehmen, weil die Menschen ihre Wurzeln verlieren".
Rentiere verhungern
Nicht nur die Jäger, auch die Rentierhalter haben mit den Veränderungen zu kämpfen. Durch den Temperaturanstieg gibt es mehr Eisregen - die Vegetation wird von einer dicken Eisschicht überzogen, sodass die Tiere keinen Zugang mehr zu ihrer Nahrung haben. Durch den Klimawandel verschiebt sich zudem die Waldgrenze und die offenen Landflächen in der Tundra verbuschen, die Weidemöglichkeiten für die Rentiere werden weniger.
Inuit bekommen Allergien, da sie plötzlich mit Pollen konfrontiert werden, die ihr Immunsystem nicht kannte. Die Wärme oder im Sommer auch die ungewohnte Hitze machen den Menschen zu schaffen, Sonnenbrand und allergische Reaktionen der Haut sind die Folge. Traditionelle Methoden der Aufbewahrung von Nahrungsmitteln und das Verarbeiten von Häuten und Fellen bei höheren Temperaturen ist nicht mehr möglich.
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Giftiger Fisch
Die indigenen Völker sind von einer massiven Verschmutzung ihres Lebensraumes bedroht. Durch den Temperaturanstieg werden jahrzehntelang im Eis gespeicherte Schadstoffe freigesetzt.
Fisch und die Meeressäuger enthalten so viele Gifte, dass ihr Konsum in höchstem Maße gesundheitsschädlich ist. So leiden viele Inuit unter erschreckend hohen Werten an Quecksilber, PCB und anderen höchst gefährlichen Giftstoffen. Inuit-Frauen wird heute in Gesundheitszentren geraten, ihre Kleinkinder nicht mehr zu stillen, weil die Muttermilch zu hoch mit Chemikalien belastet ist.
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Der österreichische Forscher Günter Köck untersucht im größten derartigen Projekt in der kanadischen Arktis den Einfluss der Klimaveränderung auf die Fische. Er fand heraus, dass mit der erhöhten Wassertemperatur der Schwermetallgehalt bei den Fischen steigt - ihr Stoffwechsel wird vermutlich dadurch angekurbelt.
Ölindustrie profitiert
Wenn sich das Klima weiter erwärmt, können bisher unzugängliche Erdöl- und Erdgas-Vorkommen genutzt werden, vor der Küste der Insel Sachalin zum Beispiel. Im äußersten Nordosten Russlands lagern die größten noch zu erschließenden Öl- und Gasvorkommen der Welt. Die Inuit fordern daher Mitsprache bei allen Projekten. Der wirtschaftliche Druck auf die Arktis wächst - was Ressourcen wie Öl und Erdgas betrifft, aber ebenso was den Fischbestand der Polarmeere angeht.
Letztendlich wird den Ureinwohnern nur eines helfen: ein Antarktis-Schutzvertrag, nach dem Vorbild der Arktis. Die Antarktis ist seit 1961 vor der Ausbeutung ihrer Rohstoffe geschützt.
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Heute sind aber weder Norwegen noch Russland, die USA oder Kanada bereit, Konzessionen zu machen. Im Gegenteil: es ist absehbar, dass es in den nächsten Jahren Konflikte um die Bodenschätze in der Polarregion geben wird.
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 25 Juni 2007, 19:05 Uhr
Buch-Tipps
Stefan Bauer, Stefan Donecker, Aline Ehrenfried, Markus Hirnsperger (Hg), "Bruchlinien im Eis. Ethnologie des zirkumpolaren Nordens", Lit Verlag, ISBN 9783825882709
"Die Arktis schmilzt und wird geplündert -Indigene Völker leiden unter Klimawandel und Rohstoffabbau", Menschenrechtsreport Nr. 44 der Gesellschaft für bedrohte Völker, Dezember 2006
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