Das Volk als Held

Charles Sealsfield

Charles Sealsfield war sicher einer der großen Außenseiterfiguren des 19. Jahrhunderts. Er gehörte keiner europäischen literarischen Gruppierung an und hatte doch auf dem europäischen Buchmarkt, im Besonderen natürlich auf dem deutschen einen unerhörten Erfolg.

Biografisches zu Charles Sealsfield

Die Bücher von Charles Sealsfield gehörten zur wichtigsten Information über die Vereinigten Staaten von Amerika und wurden massenhaft gelesen, eine Information, die damals in den vom Absolutismus unterdrückten Teilen Deutschlands unerhört wichtig waren.

Die literarische Leistung von Charles Sealsfield ist zu Recht gewürdigt worden. Hier sprach ein Erzähler, der ganz neue Erzählformen, nicht zuletzt unter Einfluss auch amerikanischer Autoren, nach Europa zu transportieren vermochte. Hier sprach einer, der die Regeln des traditionellen Romans sprengte, hier sprach einer, der ein ganz deutliches Credo für die europäischen und amerikanischen Republiken aussprach, und hier sprach auch einer, der über eine neue Sprache verfügte, die in der Lage war, die gewaltige Größe und die Natur Amerikas darzustellen.

Treffen in der Kajüte

Das so genannte "Cajütenbuch", 1841 erschienen, ist wohl die beste literarische Leistung Charles Sealsfields: Eine Gesellschaft trifft sich im Mississippi-Delta in einer Kajüte. Diese Kajüte ist ein riesiges Gebäude, es ist, wie es heißt, so was wie "die alttestamentarische Arche Noah". In diesem Gebäude erzählen die einzelnen Figuren der Gesellschaft ihre Geschichte.

Man ist fasziniert von einem jungen Mann, der berühmte Oberst Morse, der gerade im texanischen Befreiungskrieg eine unerhörte Rolle gespielt hat, und der erzählt nun seine Geschichte. So werden auch noch mehrere andere Geschichten erzählt, geblieben ist aber vor allem diese eine Geschichte, eine Geschichte von der Prärie am Hacinto.

Notwendige Giganten

Morse erzählt nun vom größten Abenteuer seines Lebens. Er ist ein Nordstaatler, der in den Süden gekommen ist und den Süden erst richtig kennen lernen muss. Er sieht die schöne Prärie und denkt sich, ich werde da mit meinem Pferd einen Ritt machen. Er hat ein gutes Pferd, reitet in die Prärie und erlebt hier die Natur in ihrer Größe. Das ist eine der schönsten Naturschilderungen Sealsfields.

Während ich ritt, betete ich, und während ich betete, trat mir wieder die Größe meines Schöpfers so siegend aus seinen herrlichen Werken vor Augen. (...) Der Mensch, der auf diesem Boden steht und nicht von der Größe und Allmacht seines Schöpfers durchdrungen wird, der muss Tier, ganz Tier sein. Der Gott Moses', der aus dem glühenden Dornbusch sprach, ist ein Kindergott gegen den Gott, der hier allergreifend vor die Augen tritt.

Dieser Natureindruck täuscht. Er reitet und er findet aus der Prärie nicht heraus. Er reitet und reitet und sinkt zuletzt ermattet vom Pferd und fällt in Ohnmacht. Er wacht auf und sieht in das hässlichste Gesicht seines Lebens. Es ist ein Mann, der Mörder Bob, der ihn rettet. Er folgt diesem Mörder und der führt ihn dann zu einer Figur, wie sie in den Romanen Sealsfields typisch sind, zu einem Alkalden, einem Richter. Bob soll hingerichtet werden, aber er hat vorher diesen jungen Offizier gerettet. Der Alkalde ist offenkundig die amerikanische Weisheit par excellence. Er sagt, wir brauchen solche Leute wie diesen Bob, denn er ist tüchtig.

Diese Geschichte ist der schönste Beweis dafür, wie Sealsfield mit der Moral umgeht, es ist also nicht nur der gute und brave Mensch gefragt, sondern der Mensch, der einerseits mit den Schrecken der Natur richtig umgehen kann, also diese Schöpferfiguren, diese Giganten, die am Anfang diese riesige Natur bewältigen, auf der anderen Seite auch derjenige, der in der Lage ist, im Kampf seinen Mann zu stellen. Solche Menschen braucht eine neue Gesellschaft, das ist die Auffassung, die hinter allen Texten Sealsfields steht. Eine Gesellschaft, die sich neu konstituiert, die kann auf solche Feinheiten oder kulturellen Ausgewogenheiten oder auch Gerechtigkeit nicht Wert legen. Hier gilt eine eiserne Pragmatik.

Eine neue Gemeinschaft entsteht

Es werden dann noch einige Geschichten erzählt, die allesamt von der Leistungen der Amerikaner in verschiedenen Teilen der Welt, vor allem in Südamerika berichten - Unterstützung des südamerikanischen Freiheitskampfes - und im Wesentlichen zielt es darauf ab, wie formiert sich ein neues Gemeinschaftswesen. Es geht nicht mehr um die Leistung des Einzelnen, sondern es geht um das Kollektiv. Und das ist ja die Erfahrung, die dieser Oberst Morse bei seinem Ritt durch die Prärie hat machen müssen, er schlägt die Warnungen des Kollektivs in den Wind, möchte ein Individuum sein, aber so geht es nicht, es muss ein demokratisches Kollektiv sein, das aber natürlich seine starken Figuren braucht wie eben diesen Bob oder den Alkalden auf der anderen Seite.

Der Typ des Volksromans

Sealsfield hat eine Romantheorie hinterlassen, die nicht ganz uninteressant ist, auch wenn theoretische Äußerungen fürwahr nicht zu seiner Stärke gehören, aber er hat doch einen Typ geschaffen, der für das 19. Jahrhundert eine gewisse Verbindlichkeit erlangen konnte. Er sagt, dass sein Roman eben ein "Volksroman" sein solle. Statt dass wie früher der Held des Romans die Hauptperson war, um den sich die anderen Persönlichkeiten herumreihten, ist hier der Held, wenn wir so sagen dürfen, das ganze Volk. Dieser Roman-Typ von Sealsfield ist wohl der prägende Typ für viele politischen Romane des 19. Jahrhunderts geworden.

Im Jahre 1844 wurde Sealsfield in einem amerikanischen Journal als "the greatest american author" bezeichnet, auf Grund seiner gewaltigen Naturschilderungen. Seine Romane sind bis heute nicht nur ein unerhört interessantes Quellenmaterial, sondern liefern auch Mittel einer Zeitdiagnose, die bis in unsere Tage Gültigkeit haben müsste.

Mehr zu Charles Sealsfield in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Literarische Außenseiter, Sonntag, 1. Juli 2007, 9:30 Uhr

CD-Tipp
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