Der Dichter als Agent

Geheimagent Marlowe

Dieter Kühns Buch erzählt nicht die Geschichte des Dichters und Spions Christopher Marlowe, es ist die in Form einer Dokumentensammlung inszenierte Annäherung an einen - wenn auch entscheidenden - Aspekt im Schicksal eines Dichters.

"Sie müssen Eis und Flamme sein!", ermahnt David Mountfelton, Beamter im Secret Service Ihrer Majestät, den neuen "Einschleusungskandidaten" Leander. "Flamme der Begeisterung für unsere Sache, Flamme im Zorn auf unsere Feinde solange Sie sich in einer Umgebung befinden, in der Sie offen sein dürfen. Sie müssen Eis sein, sobald Sie sich im Land des Feindes befinden (...), wir sind ein Geheimdienst, da wird über die Arbeit nicht gequatscht."

Leander, Adressat der unmissverständlichen Instruktionen, ist der Deckname für den Dichter Christopher Marlowe. Marlowe drängte es nicht zum Geheimdienst, er wurde zum Geheimdienst gedrängt. Wie das geschah, wie aus dem Dichter ein Spitzel wurde und aus dem Spitzel ein Doppelagent, wie ein des Mordes Verdächtigter seine Haut zu retten versuchte und später selbst einem Mordanschlag zum Opfer fiel, davon erzählt Dieter Kühns jüngstes Buch, "Geheimagent Marlowe. Roman eines Mordes".

Mörder und Spion

Dieter Kühn geht es nicht um das detailverliebte, faktengenaue Porträt eines illustren Dichterlebens. Er fragt: Weshalb und warum wird einer zum Werkzeug der Macht? Wie schlüpft er von einer Identität in eine andere? Er hat dazu die Form eines Dossiers gewählt.

"Geheimagent Marlowe" besteht nicht aus einer fortlaufenden Erzählung, sondern aus einer Sammlung fiktiver Texte von und über Marlowe: Protokolle, Briefe, Auszüge aus Erklärungen, die der Geschichte einen quasidokumentarischen Charakter verleihen. An ihrem Beginn steht ein Verhör - und Marlowes Dementi. "Ich habe Bradley nicht erstochen!", beteuert der des Mordes Bezichtigte.

"Er war an einem Mord an einem Gastwirtssohn beteiligt. Das ist übrigens historisch", erzählt Kühn. "Die Polizei vernimmt ihn und gibt ihn dann weiter, schon weichgeklopft, an den Secret Service. Das war für einen Mann, der vom Dramenschreiben lebte, eine sichere Einnahmequelle."

Ermordet 1593

Christopher Marlowe, geboren 1564, im gleichen Jahr wie William Shakespeare, getötet 1593 im 30. Lebensjahr in einer Kneipe in Deptford, war schon zu Lebzeiten berühmt und berüchtigt; ein Schustersohn, der Theologie in Cambridge studierte - und des Atheismus bezichtigt wurde; ein Dramatiker, der das elisabethanische Theater erneuerte - und von Kollegen denunziert wurde; ein streitlustiger Gesell, der Verbindungen zum Kronrat unterhielt - und sich in Kneipen und Bordellen herumtrieb; jähzornig, melancholisch, versoffen und schwul: der Stoff, aus dem Romane sind.

Während der historische Marlowe die letzten Jahre seines kurzen Lebens in und um London verbrachte, schickt Kühn seinen Helden nach Frankreich. Getarnt als Student der Militär-Architektur, soll er Komplotte katholischer Kreise gegen die englische Königin entlarven. Doch Kühn interessieren weniger Verschwörungstheorien und vermeintliche Intrigen, als das Spiel mit Biografien und der Tausch von Identitäten.

Zwischen die Fronten geraten

Dieter Kühn nutzt nicht die Leerstellen in der noch immer nur lückenhaft rekonstruierten Biografie Marlowes, um ein farbensattes Sitten- und Charakterbild zu entwerfen, sein Marlowe bleibt blass - und interessiert den Autor offenbar weniger als Mensch, denn als Modell, als exemplarischer Fall einer Person, die zwischen die Fronten gerät.

So darf man also von "Geheimagent Marlowe" nicht die ganze Geschichte des Christopher Marlowe erwarten und auch keinen wirklich spannenden Spionagethriller, sondern die in Form einer Dokumentensammlung inszenierte Annäherung an einen - wenn auch entscheidenden - Aspekt im Schicksal eines Dichters, dem es an Umsicht und Diskretion offenbar mangelte, der in seinem kurzen Leben wohl zu oft Flamme war - und zu selten Eis.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 8. Juli 2007, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Dieter Kühn, "Geheimagent Marlowe. Roman eines Mordes", S. Fischer Verlag, 2007, ISBN 978-3100415103