Kalte Winde und schmelzendes Eis

Paradoxe Antarktis

10.000 Jahre lang war das Larsen-B-Schelfeis ein stabiler Eisschild, so groß wie das Burgenland. 200 Meter dick, ragte es in das Weddel-Meer hinein, angedockt an die westantarktische Halbinsel. Im Jahr 2002 schmolz Larsen-B in knapp einem Monat.

10.000 Jahre lang war das Larsen-B-Schelfeis ein stabiler Eisschild, so groß wie das Burgenland. Rund 200 Meter dick, ragte es in das Weddel-Meer hinein, angedockt an die westantarktische Halbinsel. Das ist jener Teil der Antarktis, der wie ein Finger Richtung Südamerika, Richtung Feuerland deutet.

Im Jahr 2002 schmolz Larsen-B dann in knapp einem Monat vollständig weg. Schon ein paar Jahre zuvor hatte sich das nördlicher liegende Larsen A-Eis aufgelöst. Innerhalb weniger Jahre hat die Westantarktis damit 10.000 Quadratkilometer Eisbedeckung verloren.

Ursachen für den Schelfeis-Verlust

Schelfeis ist eine Eisfläche, die auf dem Wasser schwimmt, aber an das Land angebunden ist und dort von einem Gletscher gespeist wird. Bricht das Schelfeis weg, fließen auch die Gletscher schneller Richtung Meer.

David Vaughn vom British Antarcitc Survey vermutet, dass der Verlust des Schelfeises mit dem Ozean zu tun hat und nicht mit einer Erwärmung der Atmosphäre. Auch ohne genaue Messungen legt das Verhalten einzelner Tierarten diese Annahme nahe. Zum Beispiel zieht der Krill seit Jahren immer weiter südwärts, Richtung Kälte. Dieser Kleinkrebs ist ein zentrales Glied in der Nahrungskette der Antarktis und etwa für Pinguine oder Wale lebensnotwendig. Die Südwanderung einzelner Arten hat auch eine Antarktis-Expedition des deutschen Forschungsschiffes Polarstern Anfang 2007 dokumentiert.

Paradoxe Beobachtungen

Paradoxerweise ist am Hauptkontinent, in der Ostantarktis, von einer Erwärmung nichts zu spüren, auch im Gegensatz zur nördlichen Polarzone, der Arktis. John Turner, Klimaforscher am British Antartic Survey, beobachtet das Geschehen am Südpol teilweise mit Verwunderung. "Um den Nordpol haben wir einen riesigen Verlust an Meereis. Wir verlieren dort sieben Prozent Eis pro Jahrzehnt. Das heißt, dass es in rund 50 Jahren gar kein sommerliches Eis mehr gibt in der Arktis. In der Antarktis wächst das Eis am Hauptkontinent in Summe sogar."

Für Turner bedeutet die Erderwärmung: Umverteilung von Hitze. Während sich die Oberfläche erwärmt, kühlt die Stratosphäre über der Antarktis, nicht zuletzt wegen des Ozonlochs, ab. Durch das immer steilere Temperaturgefälle zwischen Äquator und Südpol werden auch die Winde um die Antarktis herum stärker. Sie haben in den letzten Jahrzehnten um 20 Prozent zugenommen, Tendenz weiter steigend.

Erste Vermutungen

Die antarktische Halbinsel mit ihren 2000 Kilometern Länge und zwei Kilometern Höhe ragt im rechten Winkel in diese Winde hinein. So gelangen wärmere Luftmassen auf die Halbinsel und die Schelf-Eisflächen. "Wenn sich die Temperaturen wie am Hauptkontinent von minus 60 auf minus 45 erhöhen, dann ist das für das Eis egal. Es schmilzt nicht. An der Ostseite der antarktischen Halbinsel liegen die Temperaturen im Sommer hingegen um null Grad. Hier kann eine minimale Erwärmung katastrophale Ausmaße annehmen. Und das dürfte unserer Meinung nach mit dem Schelfeis passiert sein", vermutet Turner.

Das Klimasystem vergleicht John Turner mit einer Maschine. In den Tropen wird Energie zugeführt und treibt Richtung Südpol. "Zum Beispiel wissen wir, dass die Wasserzirkulation zwischen Tropen und Antarktis maßgeblich von dem schweren kalten Wasser angetrieben wird, das in der Antarktis und unter dem Schelfeis entsteht. Dieses schwere kalte Wasser sinkt hinunter und breitet sich über die Weltmeere aus. Wir sind natürlich etwas beunruhigt, wie das in der Zukunft weitergehen wird. Schließlich werden wir bis Ende des Jahrhunderts 25 bis 30 Prozent der Meereisdecke verlieren. Das wird auch die Wasserzirkulation in den Ozeanen verändern."

Ein ähnliches Phänomen treibt auf der Nordhalbkugel den Golfstrom an. Auch dort gibt es Befürchtungen, dass durch den Verlust des arktischen Eises dieser wärmebringende Strom zum Erliegen kommen könnte.

Antarktische Hauptkontinent ungefährdet?

Dass der antarktische Hauptkontinent wegschmelzen könnte, befürchet Turner nicht. Seine "Wettervorhersage für den Südpol im Jahr 2100: " Die Antarktis ist ein riesiger Schild aus Eis und Schnee. Wir erwarten etwa 25 bis 50 Prozent mehr Schneefall bis Ende des Jahrhunderts. Das bedeutet einen jährlichen Meeresspiegelanstieg von einem Millimeter. Das ist verkraftbar. Die meisten Schneefälle gibt es am Rande der Antarktis, das Innere des Kontinents bleibt eine Eiswüste mit etwa 50 Millimeter Niederschlag pro Jahr, so wie jetzt."

Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 9. Juli 2007, 19:05 Uhr

Links
Internationales Polarjahr 2007/2008
Polarstern-Expeditionslog
British Antarctic Survey