Eine neue Sprache der Lyrik

Else Lasker-Schüler

Ihr Werk wurde als "typisch weiblich" oder als "exotisch" bezeichnet oder fast ausschließlich mit Blick auf ihre jüdische Herkunft interpretiert. Damit tut man Else Lasker-Schüler aber Unrecht, ist sie doch Vorbild für viele Autorinnen.

Else Lasker-Schüler wurde am 11. Feb 1869 in Elberfeld geboren, heute ein Stadtteil Wuppertals. Aufgrund einer Krankheit - vermutlich Veitstanz - konnte sie nicht die Schule besuchen und erhielt Privatunterricht. Wahrscheinlich hätte sich ihre poetische Begabung nicht so entfaltet, wäre sie nicht mit dieser Sonderstellung in der Gesellschaft von Früh auf gekennzeichnet gewesen.

Von Karl Kraus gefördert

Vor allem im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts produziert sie eine Reihe von Prosabänden, es erscheinen Gedichtsammlungen. Sehr bald wird sie in die literarischen Zirkel eingeführt. Vor allem ein Dichter ist auf sie aufmerksam geworden und das war niemand anderer als Karl Kraus. Karl Kraus pries in der "Fackel" diese Lyrikerin an, mit einer Formulierung, die sich in den Literaturgeschichten gehalten hat als die Formulierung, die den Rang der Else Lasker-Schüler für immer festschrieb:

"Nicht oft genug kann diese taubstumme Zeit durch einen Hinweis auf Else Lasker-Schüler gereizt werden, die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung im modernen Deutschland. Wenn ich sage, dass manches ihrer Gedichte wunderschön ist, so besinne ich mich, dass man vor 200 Jahren über diese Wortbildung ebenso gelacht haben mag, wie über Kühnheiten, welche dereinst in dem Munde aller sein werden, denen die Sprache etwas ist, was man gebraucht, um sich den Mund auszuspülen. Das, in der Berliner Wochenschrift 'Der Sturm' zitierte, Gedicht gehört für mich zu den entzückendsten, ergreifendsten Gedichten, die ich je gelesen habe." So Karl Kraus über das Gedicht "Ein alter Tibetteppich":

Ein alter Tibetteppich
Deine Seele, die meine liebet
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet
Stahl in Strahl, verliebte Farben
Sterne, die sich himmellang umwarben
Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit
Maschentausendabertausendweit
Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron
Wie lange küsset dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange bunt geknüpfte Zeiten schon?

Verliebt in Gottfried Benn

Else Lasker-Schüler wirbt um einen Lyriker, der vielleicht der bedeutendste Lyriker in diesem Jahrzehnt war, nämlich um Gottfried Benn. Ihre Gedichte für Gottfried Benn sind weniger Gedichte, die nur die Neigung ausdrücken, als vielmehr der Versuch, diese neue Sprache Benns auch für die eigene verständlich und nutzbar zu machen. Und so widmet sie ein Gedicht Gottfried Benn, mit dem merkwürdigen Titel "Giselher dem Tiger".

Über dein Gesicht schleichen die Dschungeln,
Oh wie du bist!
Deine Tigeraugen sind süß geworden in der Sonne,
Ich trage dich immer herum, zwischen meinen Zähnen.

Du mein Indianerbuch, Wild West, Sioux Häuptling,
Im Zwielicht schmachte ich,
Gebunden am Buchsbaumstamm.

Ich kann nicht mehr sein ohne das Skalpspiel,
Rote Küsse malen deine Messer auf meine Brust,
Bis mein Haar an deinem Gürtel flattert.


Man kann sich vorstellen, dass Gottfried Benn nicht immer entzückt war von diesen radikalen Erklärungen der Zuneigung und so kam es auch zu einer Art Bruch. Allerdings hat Gottfried Benn die Gedichte Else Lasker-Schülers außerordentlich geschätzt.

Vorreiterrolle für Celan und Mayröcker

Man sieht natürlich deutlich, dass diese Gedichte alles andere als realistisch sind. Es geht hier nicht um die Porträtierung von Personen, sondern es geht um deren mythische Überhöhung. Es geht darum, alle in einer Art Zwischenreich zwischen Traum und Wirklichkeit zu platzieren.

Die moderne Lyrik wäre ohne die exzentrische Autorin Else Lasker-Schüler kaum möglich. Man denke auf der einen Seite etwa an die Gedichte eines Paul Celan, dessen Wortprägungen überraschende Verwandtschaft mit den Wortprägungen der Else Lasker-Schüler aufweisen. Man denke an die Lyrik einer Frederike Mayröcker, deren Wortprägungen auch verwandt sind, diese kühnen Zusammenfügungen von Substantiven. Auf der anderen Seite wiederum, war ihre Aufnahme durchaus immer wieder gefährdet. Das Exzentrische, das Agrammatische hat viele Kritiker verstört.

Kühne Wortwendungen

Für diejenigen, die die Manier der Else Lasker-Schüler zu schätzen wussten, gibt es kein Problem, den Umgang mit ihrer Lyrik zu pflegen. Hingegen manche, die sich an diesen etwas kühnen Wortwendungen und auch an den Verstößen gegen die Ordnung des Satzbaus stoßen, für die jedoch wird es schwierig, sich mit diesen lyrischen Gebilden und auch mit ihren Prosagebilden anzufreunden. Zum anderen aber wird jedoch eine ganz neue Stimme vernehmbar.

Der Nachruf von Gottfried Benn mag vielleicht zum Schönsten gehören, was über sie gesagt wurde.

Das war die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte. Ihre Themen waren vielfach jüdisch, ihre Fantasie orientalisch, aber ihre Sprache war Deutsch, ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch; eine Sprache, reif und süß, in jeder Wendung dem Kern des Schöpferischen entsprossen. Immer unbeirrbar sie selbst, fanatisch sich selbst verschworen. Feindlich allem Satten, Sicheren, Netten, vermochte sie in dieser Sprache ihre leidenschaftlichen Gefühle auszudrücken, ohne das Geheimnisvolle zu entschleiern, das ihr Wesen war.

Hör-Tipp
Literarische Außenseiter, Sonntag, 15. Juli 2007, 9:30 Uhr

CD-Tipp
"Literarische Außenseiter, porträtiert von Wendelin Schmidt-Dengler, ORF-CD 2009633, erhältlich im ORF-Shop,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten zehn Prozent Ermäßigung.

Übersicht

  • Literarische Aussenseiter