Die "Air" im Interpretationsvergleich

Bach romantisch

Johann Sebastian Bach wurde nicht nur von den deutschen Romantikern als Heiligtum in die Konzertsäle gebracht (etwa von Mendelssohn), sondern auch lange Zeit im Geist der Romantik gespielt. Ein Interpretationsvergleich der berühmten Air von Bach.

Bachs "Air" mit Marriner und Harnoncourt

Johann Sebastian Bach wurde nicht nur von den deutschen Romantikern als Heiligtum in die Konzertsäle gebracht (etwa von Mendelssohn), sondern auch lange Zeit (teilweise bis heute) im Geist der Romantik gespielt: weich, verschwommen, volltönend, überschwänglich.

Romantischste Bach-Interpretationen? Der Begriff "romantisch" ist hier eigentlich ungenau: Gemeint ist jenes vor allem in den 1950er bis 1980er Jahren auffindbare Klangideal, das den verehrten Bach (und Barockmusik überhaupt) volltönend, mit weichem, homogenen, oftmals verschwimmenden Klang und starkem Vibrato spielt, mit einer Artikulation, die nahezu jeden Ton betont oder in großen Bögen kaum Zäsuren zulässt - wie jemand, der beim Reden keinen Punkt machen kann.

Voluminöserer Klang

Wieso nennen wir das manchmal romantisch? Weil es musikalische Errungenschaften sind, die Großteils im 19. Jahrhundert, also zur Zeit der sogenannten Romantik, aufkommen: kaum mehr Phrasierung wie in der Sprache (betont-unbetont), statt dessen große Spannungsbögen, homogene Klangfarben (durch eine Vereinheitlichung der Instrumente), und überhaupt ein kräftigerer, lauterer, voluminöserer Klang, den die großen Konzertsäle den oftmals technisch dafür "aufgerüsteten" Instrumenten abverlangen.

Berühmtes Beispiel einer solchen Klangästhetik: Bachs berühmte Air aus der Suite beziehungsweise Ouvertüre für Orchester Nr. 3 in D-Dur, BWV 1068.

Einen fetten, samtigen Ton, alles in sich verschwimmend, hört man zum Beispiel in einer Aufnahme der "Air" mit der Academy of St. Martin in the Fields unter Neville Marriner aus dem Jahr 1971 (erster Teil unseres Audios). Die Platte erschien übrigens 2003 nochmals bei DECCA unter dem Titel "Midnight Adagios".

Beeindruckende Transparenz

Der zweite Teil unsers Audiobeispiels beweist, dass man mit einem "romantischen" Orchester, das heißt einem Orchester mit Instrumenten, die aus dem 19. Jahrhundert stammen, sehr unromantisch musizieren kann: kurze Artikulation, schlanker Ton, wenig Vibrato, beeindruckende Transparenz. Es spielen die Berliner Philharmoniker unter Nikolaus Harnoncourt (Livemitschnitt 2002).

Hör-Tipp
Ausgewählt, jeden Mittwoch, 10:05 Uhr

CD-Tipp
Berliner Philharmoniker, "Im Takt der Zeit", 12-CD-Box, Stiftung Berliner Philharmoniker, ISBN 9783898162470

Links
Academy of St. Martin in the Fields
Berliner Philharmoniker

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