Eine Naturgeschichte der Atmosphäre
Ein Meer von Luft
Galilei hatte das Gewicht der Luft beschrieben, und viele Wissenschaftler nach ihm beschäftigten sich mit dem uns umgebenden Stoff. Gabrielle Walker fasst in ihrem Buch viele Geschichten rund um die Luft spannend und informativ zusammen.
8. April 2017, 21:58
Schon im ersten Kapitel ihres Buches führt die englische Wissenschaftsjournalistin Gabrielle Walker ihren Lesern geschickt vor, wie wenig sie bisher über die Luft nachgedacht haben. Sie tut das, indem sie anschaulich beschreibt, mit welchen klugen Experimenten die Forscher der ersten Stunde überhaupt die Existenz von Luft beweisen mussten, ehe sie daran gehen konnten, deren Zusammensetzung herauszufinden. Da die Bezeichnung Wissenschaftler noch nicht geprägt war, nannte man diese Männer - und es waren ausschließlich Männer - einfach Naturphilosophen.
Eine allgegenwärtige Substanz
Sie arbeiteten buchstäblich unter Lebensgefahr, bedroht durch die brutale Inquisition, die Aufklärung um jeden Preis verhindern wollte. Schritt für Schritt entschlüsseln die Naturphilosophen die Zusammensetzung der Luft. Warum sie beispielsweise für das Atmen so wichtig ist, erkannte Robert Boyle, ein wissbegieriger englischer Landjunker.
Noch wusste niemand, dass die Luft ein Gemisch aus verschiedenen Gasen ist. Auch auf die Idee, dass es besondere Gase gibt, war noch niemand gekommen. Luft war ein Element, eine allgegenwärtige Substanz, die sich nicht aus Teilen zusammensetzt. Das war der Berg des Vorurteils, der noch überwunden werden musste, bevor die höchst ungewöhnlichen Geheimnisse der Luft allmählich zum Vorschein kamen.
Berge aus Vorurteilen mussten alle Wissenschaftler überwinden und es ist spannend zu lesen, welche gängigen Vorstellungen überhaupt erst als falsch erkannt werden mussten, ehe man daran gehen konnte, nach den richtigen zu suchen. Dass dies auch in der jüngsten Vergangenheit immer noch so ist, belegt Walker am Beispiel der Erderwärmung.
Nur ein Hauch
Über welche vergleichsweise dünne Schicht wir beim Thema Luft sprechen, zeigt Walker schon im Prolog, wo sie ein atemberaubendes Experiment vom 16. August 1960 beschreibt. Joseph W. Kittinger, ein Captain der US-Air Force wagt über New Mexico aus 36 Kilometer Höhe den Sprung zur Erde und überlebte dank Raumanzug und Fallschirm.
Seine Heimkehr vom Rand des Alls, aus der dünnen Luft in die dichte, macht das Besondere unseres Planeten deutlich. Das All ist so nah, dass man es beinahe mit Händen greifen kann. Nur gut dreißig Kilometer über uns ist die Umwelt so feindlich, dass wir erfrieren, verbrennen und verkochen würden. Doch die uns einhüllenden Luftschichten schützen uns so vollständig, dass wir uns der Gefahren nicht bewusst sind.
Abfallverwerter Pflanzen
Um Höhenangaben deutlich zu machen und das mit der Zeit neu hinzugekommene Wissen um die Beschaffenheit der Atmosphäre den Lesern bildlich vor Augen zu führen, beginnt Walker jedes Kapitel mit der gleichen Zeichnung der Erde, der jeweils die entsprechenden Details hinzugefügt wurden. Etwa das Kohlendioxid, ein besonders interessantes Thema.
Joseph Priestley etwa, wusste, dass einer Maus in einer geschlossenen Kammer irgendwann buchstäblich die Luft ausgeht. Wenn er aber eine Pflanze in die Kammer stellte, überlebte die Maus. Aus dieser Erkenntnis schloss man später auf die Grundlage des Lebens auf der Erde.
Wir Tiere nehmen Sauerstoff auf, um unsere Nahrung zu verbrennen, und stoßen als Abfallprodukt Kohlendioxid aus. Bei Pflanzen ist es genau umgekehrt. Sie nehmen Kohlendioxid auf, um daraus Nahrung herzustellen, und erzeugen als ihr Abfallprodukt Sauerstoff. Wir haben also ein Abkommen, das uns alle am Leben hält - die Pflanzen schlucken unseren Abfall und wir den ihren. Das lebendige, atmende Medium dieses unaufhörlichen Austausches ist die Luft.
Erst viel später erkannte man nach und nach die komplizierte Abfolge von Reaktionen, wie etwa Sonnenlicht eingesetzt wird, um Kohlendioxid aufzuspalten. Alljährlich verwandeln Grünpflanzen Kohlendioxid in hundert Milliarden Tonnen pflanzlichen Materials, verbrauchen dabei das Dreißigfache des gegenwärtigen Energieverbrauchs aller Maschinen auf der Erde. Dass ein Teil des Sauerstoffs frei bleibt und in den Himmel aufsteigt, führt zur Bildung der Atmosphäre, die unser Leben ermöglicht.
Ansteckende Begeisterung
Man könnte ewig so weitererzählen, denn eine Geschichte ist spannender als die andere - etwa die, von den fünf Milliarden Tonnen Ozon, die über unseren Köpfen schweben und die gefährlichen energiereichsten ultravioletten Strahlen abfangen. Oder über die Entdeckung, dass eine elektrische Schicht am Himmel als imaginärer Spiegel Radiowellen zurückwirft, wodurch die Welt vom Untergang der "Titanic" erfuhr, und Gabrielle Walker auch diese Geschichte in ihr Buch aufnehmen konnte. Sie ist eine jener Wissenschaftsjournalisten, die sich nicht vor der Forschergemeinde profilieren möchten, sondern Leserinnen und Leser mit ihrer Begeisterung anstecken.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Gabrielle Walker, "Ein Meer von Luft. Eine Naturgeschichte der Atmosphäre", aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Griese, Berlin Verlag, 2007, ISBN 978-3827005953