Die historische Musiktheater-Vielfalt

Pantomime, Melodram, Happening

In den ersten zwei Jahrhunderten der Operngeschichte ist die Oper nur eine von vielen Formen des Musiktheaters: Da wurde zur Musik getanzt, gesprochen, rezitiert; es gab Pantomimen oder Gaukler, neuste Kleider oder exotische Tiere wurden vorgeführt.

Pantomime, Melodram, geistliches Singspiel, Semi-Opera, Masque, Comédie-ballet - alles Formen des Musiktheaters, die in Europa in unterschiedlichen Regionen beliebt und verbreitet waren, bevor sich die Oper in ihrer "klassischen", uns heute vertrauten Form als gesungenes Handlungstheater mit Orchester, Rezitativen und Arien gegen eine Vielfalt anderer Musiktheaterformen durchsetzte.

Ab dem späten 18. Jahrhundert standardisierte sich also die Oper, bildete ein klar abgegrenztes Genre der Musik. Mozart war einer der letzten Komponisten, die im symphonischen, kammermusikalischen wie musikdramatischen Fach zu Hause war. Ab dann kamen die Opernspezialisten...

Ein schönes Durcheinander

Davor war noch alles schön durcheinander. Da gab es zum Beispiel Intermedien oder Intermezzi: Szenisch-musikalische Zwischenspiele in den Pausen großer Dramen (Dramen des Musiktheaters wie auch des Sprechtheaters). Telemanns Intermezzo "Pimpinone oder die ungleiche Heyrath" oder Mozarts "Apollo und Hyazint" gehören dazu; oder auch Michael Haydns Pantomime "der Traum", die in Salzburg damals als Nachspiel eines lateinischen Dramas von Kindern aufgeführt wurde.

Hier herrschte Chaos auf der Bühne; bizarre Szenen wie in einem Traum: Der Tod, Geister, Arlequin, Hanswurst, Hänsl und Gretl, Affen, Hunde, ein Bär, ein türkischer Heerführer treten auf - und die Handlung wäre mit "surreal" noch zu realistisch beschrieben.

Masque und Comédie-ballet

Weitere weitgehend vergessene Genres des Musiktheaters sind das Melodram oder die englische Masque. Bei letzterer handelt es sich ursprünglich um ein höfisches Maskenspiel, ein mythologisch-allegorisches Spiel der englischen Adelsgesellschaft des 16. u. 17. Jahrhunderts, bei dem getanzt, rezitiert und gesungen wurde.

Später entwickelte sich daraus eine eigene Musiktheaterform: Alte Fabeln, Mythen oder Theaterdramen wurden mit Musik und Tanz versehen - eine ähnliche Mischung wie im Comédie-ballet im Frankreich Ludwig des XIV. Molières "Bürger als Edelmann" etwa war kein reines Sprechtheater, sondern eine Mischung, in der Gesang, Dialog, Musik und Tanz gleichberechtigt nebeneinander standen.

Stiefkind Melodram

Das Melodram könnte man als Stiefkind der Musiktheatergeschichte beschreiben: von Rousseau bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es immer Versuche, gesprochene Texte mit Musik zu unterlegen, aber nie setzte sich dieses Genre durch - erst der Film machte aus der Kombination gesprochenes plus Musik eine Selbstverständlichkeit.

Größter Beliebtheit allerdings erfreuten sich seinerzeit die Melodramen Jiri Antonin Bendas (1722-1795) - und nicht zu vergessen: Als Goethes Werther in halb Europa Furore machte, da beschloss Gaetano Pugnani (1731-1798), der Goethes Briefroman in Turin kennen gelernt hatte, den ins italienische übertragenen Text Goethes als Melodram zu vertonen (Aufführungen wahrscheinlich 1790 in Turin, 1796 in Wien).

Warum vergessen?

Warum sind diese Formen des Musiktheaters auf den Opernbühnen heute kaum zu finden? Zwei Erklärungen sind hier zu hören: Erstens, weil die Stoffe so zeitspezifisch seien, dass sie nicht in die heutige Zeit übertragbar sind; zweitens, weil die Verantwortlichen der Opernhäuser und Theater kein Risiko eingehen wollen, ungewohnte Genres hätten kein Publikum.

Neue Definitionen des Theatralischen

Erst im 20. Jahrhundert vervielfältigen sich die Formen des Musiktheaters wieder, zum Beispiel durch Verbindungen mit dem Varieté (Kurt Weill) oder neuen Definitionen des Theatralischen in der Performance oder dem Happening (John Cage).

Neue Wege des Musiktheaters wurden gesucht und man verband wieder neu, was schon einmal zusammen auf der Bühne stand: Gesang, Sprache, Tanz, Musik, Pantomime, Spaß und Ernst, Sinn und Unsinn.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 6. August 2007, 9:45 Uhr

Buchtipps
Richard Alewyn, "Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste" Beck'sche Reihe, ISBN 9783406331442

Roger Parker (Hg.), "Illustrierte Geschichte der Oper", Metzler, ISBN 9783476013354