Thomas Bernhard

Autor am Rande

In der Serie "Literarische Außenseiter" porträtierte Wendelin Schmidt-Dengler Schriftsteller, die in keine Schublade passen. Einer dieser Autoren war Thomas Bernhard, dem Schmidt-Dengler viel Forschungsarbeit gewidmet hatte.

Thomas Bernhard als Außenseiter - das mag als Paradox erscheinen, aber ein Paradox, das doch sehr wesentlich in das Werk Thomas Bernhards hineinführt, denn Thomas Bernhard hat sich am Rande aufgestellt. Er ist, wie er in seiner Autobiografie "Der Keller" sagt, in die "entgegengesetzte Richtung" gegangen und er ist das konsequent, ein Leben lang, gegangen. Dieses In-die-entgegen-gesetzte-Richtung-Gehen hat ihm eine Position verschafft, von der aus er die anderen, die dort geblieben sind, wo sie waren oder in eine andere Richtung gingen, genau beobachten konnte. Er war außerhalb, und dieses Außerhalb hat ihn genau in die Mitte gebracht.

Das spielt keine unbedeutende Rolle in diesem Werk, jemand zu sein, der sich die Isolation gleichsam erschrieben hat und aus dieser Isolation heraus schreiben kann. Die "schaurige Lust der Isolation", wie Robert Musil das genannt hat, hat man als einen seiner Wesenszüge erkannt. Diese Isolation ist mehr als bloß eine Verweigerung, sie ist auf der einen Seite natürlich der Ausschluss aus der Gesellschaft, aber andererseits ist es nicht möglich, über die Gesellschaft zu schreiben, ohne von ihr ausgeschlossen zu sein.

Leben mit dem Tod

In seiner Autobiografie berichtet Thomas Bernhard von der schweren Erkrankung, die er sich holte, und diese Erkrankung, Morbus Boeck, bestimmte eigentlich sein ganzes Leben. Es ist eine Erkrankung, die unweigerlich zum Tode führt, aber aufgehalten werden kann. Mit diesem Bewusstsein schrieb Thomas Bernhard seine Texte.

"Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt", hat er 1968 in seiner berühmten Staatspreis-Rede gesagt, eine Rede, in der er gewissermaßen den Fundamentalsatz seiner Ästhetik festgelegt hatte: "Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt." Es kommt nur darauf an, wie man es betrachtet: Ist das Lächerliche im Vordergrund, dann tritt der Tod etwas in den Hintergrund, ist der Tod im Vordergrund, dann tritt das Lächerliche in den Hintergrund. Beide Elemente bestimmen sein Werk, das komische wie das tragische. Sie halten dort einander eine ideale Balance.

"Ich bin der Geschichtenzerstörer"

Thomas Bernhard war ein Meister wechselnder Gegensätze zwischen Authentizität und Nicht-Authentizität. Das Fiktionale erschien plötzlich als das Reale, das Reale als fiktional, das Komische als das Tragische, das Tragische als das Komische.

Wer bei Thomas Bernhard auf eine handfeste Story wartet, wird wohl enttäuscht sein. "Ich bin der Geschichtenzerstörer, ich bin der typische Geschichtenzerstörer. Immer wenn sich eine Geschichte hinter einem Prosahügel hervorwagt, schieße ich sie ab", hat er erklärt. Trotzdem hat er seine Texte mit sehr viel Geschichte gefüllt, allerdings nicht so wie man es im üblichen Sinne gewohnt ist.

Texte wie Kompositionen

Die Musikalität seiner Sprache ist immer wieder hervorgehoben worden - er hatte ein wunderbares Gehör, manche Texte sind nach Kompositionsmustern geformt, nach Fugen oder Symphonien, kurzum, er war einer jener, der durch seine Sprache, durch eine ganz bestimmte, gezielte rhythmische Sprache und einen Tonfall, der unverwechselbar war, sich in die Ohren seiner Hörer einzuschleichen verstand.

Man hat lange gemeint, dass ein Werk Bernhards dem anderen wie ein Ei dem anderen gliche, auf der anderen Seite lohnt es sich, doch genau hinzuschauen, denn diese Texte sind sehr unterschiedlich und in einer feinen Differenzierung angebracht, die Themen werden nie auf die selbe Weise abgehandelt, Thomas Bernhard hat hier einen sehr schönen Vergleich gebraucht, er hat gesagt: "Ein Buch ist ja so wie eine weiße Wand und auf den ersten Blick meint man, da wäre alles gleich, sieht man aber genau hin, dann sieht man, dass sie voller Risse und Unebenheiten ist, Ungeziefer kriecht darüber hin", das heißt, eine weiße Wand ist wie ein Buch. Ich glaube, die Texte Thomas Bernhard sind so eine weiße Wand und man kann sie lange genug anschauen.

Anerkennung in der ganzen Welt

Thomas Bernhard wirkt in Österreich, aber das Auffallende ist natürlich, dass diese Texte auch überall anders rezipiert wurden, wo die Österreich-Problematik als solche kaum von Bedeutung sein konnte, so in Frankreich, wo schon 1972 eine begeisterte Besprechung seines Romans "Die Verstörung" erschien. In Frankreich, in Spanien, in Italien ist sein Werk fast zur Gänze übersetzt. In der Tschechischen Republik, in Russland, ja sogar im fernen China, in Japan und in Korea gibt es kleine Vereinigungen, die sich dem Werk Thomas Bernhards widmen, die diese Texte übersetzen und auf der Bühne präsentieren.

Bernhard wird in den germanistischen Seminaren gelesen, die Flut der Sekundärliteratur weltweit ist nicht zu überblicken, er ist geradezu zu einem Nachfolger Kafkas geworden, was die Intensität in der Interpretation betrifft, er ist einer der negativen großen Klassiker der deutschsprachigen Literatur weltweit geworden. Thomas Bernhard verstand es sehr gut, sich dem Publikum zu insinuieren, und je mehr er sich zurückzog, umso mehr folgte ihm das Publikum in seine Einsamkeit nach.

Service

CD "Literarische Außenseiter, porträtiert von Wendelin Schmidt-Dengler, ORF-CD 2009633

Thomas-Bernhard-Gesellschaft
Österreichische Gesellschaft für Literatur - Linkliste zu Thomas Bernhard

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