Einem Phänomen auf der Spur
Das Gerücht
Ein Gerücht ist mehr als bösartiges Geschwätz. In der Wirtschaft kann es ein Blick hinter die Kulissen sein, bevor Entscheidungen fallen - ein wertvoller Informationsvorsprung. Ein falsches Gerücht kann aber auch zu teuren Fehlentscheidungen führen.
8. April 2017, 21:58
Schweizer Börsen-Guru Alfred Herbert zum Thema Gerücht
Paul Severin, Chef-Fondsmanager in der Capital Invest der Bank Austria Creditanstalt, sieht das Gerücht mit kühler Professionalität. Für ihn ist ein Gerücht nicht mehr und nicht weniger als eine Information, die einen Einfluss auf die Aktienkurse haben könnte. Klar ist aber, dass jeder, der Gerüchte in die Welt setzt oder weiterverbreitet, ein ausgeprägtes finanzielles Eigeninteresse hat.
Auf diesem Umweg lässt sich eventuell herausfinden, von wem ein Gerücht stammen könnte. Wenn das überhaupt von Belang ist. Wenn ein Gerücht einmal da ist, entwickelt es nicht nur ein Eigenleben, es schafft auch Realitäten, zum Beispiel, wenn auf Grund eines falschen Gerüchtes ein Aktienkurs steigt oder fällt.
Schweiz untersucht Gerüchte
Die Schweiz als europäisches Finanzzentrum mit der wichtigen Züricher Börse, mit den international tätigen Großbanken, wie der UBS: Dort werden Gerüchte und ihre Auswirkungen auf Unternehmen und Märkte besonders gründlich untersucht.
Der Schweizer Börsenguru Alfred Herbert sagt es drastisch: Er spricht von der "Hure der Börse", etwas anrüchig, aber jeder schaut ihr nach. Und noch ein Vergleich: Das Gerücht ist das Öl im Getriebe der Börse, denn die Börse braucht Bewegung, braucht das Auf und Ab der Kurse. Konkrete Nachrichten über die Geschäftsentwicklung der einzelnen Titel gibt es ja nicht immer.
Im Ohr und im Netz
Die Gerüchte werden immer perfekter übermittelt: Als die Börse noch ein richtiges Parkett war, haben einander die Börsianer Gerüchte ins Ohr geflüstert, mit der Computerbörse ging's am Telefon.
Perfektester Marktplatz für Gerüchte aber ist heute das Internet. Praktisch jeder Chatroom kann kursrelevante Informationen bergen. Etwa wenn sich Patienten über ein bestimmtes Medikament austauschen, können schon Nebenwirkungen bekannt werden, bevor es noch die Pharmafirma erfährt. Wer rechtzeitig verkauft, bevor wegen eines Skandals die Kurse eines solchen Pharmaherstellers stürzen, hat schon gewonnen, oder genauer: hat Verluste vermieden.
Firma sucht Internet nach Gerüchten ab
Mit den Gerüchten im Internet setzen sich inzwischen bereits Profis auseinander: Die Firma NetBreeze in der Schweiz sucht systematisch nach Gerüchten und Informationen aller Art im gesamten Internet, stellt Zusammenhänge her zwischen Themen, Firmen und Personen.
Es ist eine aufwendige und sicher nicht billige Dienstleistung, aber für die eine oder andere Firma sicher wertvoll, etwa wenn sich eine Krise innerhalb oder außerhalb des Unternehmens ankündigt.
Info-Flut gebiert Gerüchte
Die Informationsflut selbst ist es, die immer mehr Gerüchte ins Kraut schießen lassen, meinen zum Beispiel die beiden Buchautoren Manfred Bruhn und Werner Wunderlich. Kaum ein Mensch kann die Masse an Informationen, die auf ihn einstürzt, wirklich bewältigen.
Bruchstücke bleiben im Gedächtnis hängen, werden mit anderen Informationen verknüpft, die möglicherweise gar nichts miteinander zu tun haben, heraus kommt ein mehr oder minder wahrscheinliches Bild, das mit der Realität oft nur mehr wenig zu tun hat. Auch so entsteht ein Gerücht.
Ernst nehmen!
Unternehmen sollen Gerüchte ernst nehmen, egal ob sie richtig sind oder falsch. Und das wirksamste Rezept gegen Gerüchte ist Offenheit nach innen und nach außen.
Gerüchte sind Informationen, es kommt darauf an, was man daraus macht. Der legendäre Börsenguru Andre Kostolany hat wie immer gute Tipps parat: Am gefährlichsten ist die halbrichtige Information. Bei einer falschen Information bleiben die Börsianer kritisch. Weil falsche Informationen oft überraschend und provozierend sind, kontrolliert sie der vorsichtige Spekulant.
Das ist bei einer halbrichtigen Information nicht zwingend. Sie ist daher viel gefährlicher als die völlig falsche Information. Denn eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge.
Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 10. August 2007, 09:45 Uhr
Links
NetBreeze
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Pioneer InvestmentsWirtschaftswissenschaftliches Zentrum der Universität Basel - Manfred Bruhn
Universität St. Gallen - Werner Wunderlich