Eine ganz spezielle Zweierbeziehung
Der Elefantenmann
Es war ein Zufall, der Chris Galucci aus seinem rastlosen Dahin-Leben riss und ihm eine wunderbare jahrelange Freundschaft verschaffte: die Begegnung mit Timbo, dem Elefanten. 30 Jahre lang verbrachte Galucci fast jeden Tag mit dem eigenwilligen Koloss.
8. April 2017, 21:58
1975 fuhr Chris Galucci, damals 21 Jahre alt, mit seinem Motorrad durch Kalifornien. Eine schlimme Zeit lag hinter ihm: kein Elternhaus, kein Schulabschluss, stattdessen Schlägereien, Messerstechereien, Gefängnisaufenthalte. In Acton am Rande der Mojave-Wüste stieß er auf ein Filmset. Noel Marshall drehte mit Tippi Hedren und deren Tochter Melanie Griffith den Film "Roar - Die Löwen sind los", mit mehr als hundert wilden Tieren, mit Löwen, Pumas, Tigern und auch zwei Elefanten. Chris Galucci heuerte zunächst als Schweißer an und wurde später, als Hedren zugunsten der Tiere die gemeinnützige Shambala Foundation gründete, Elefantentrainer, fasziniert von einem grauen Koloss namens Timbo. Um dessen Vertrauen zu gewinnen, kettete er sich die erste Nacht neben dem Elefanten im Stall fest und warf den Schlüssel weg: der Beginn einer langen, auf Respekt und Zuneigung gegründeten Freundschaft.
Chris Galucci wurde der Elefantenmann. Der zu Gewalttätigkeiten neigende Kerl aus der Biker-Szene wurde zum Einsiedler und Tierpfleger, der in enger Symbiose mit einem Elefantenbullen lebte, den er liebevoll umsorgte. In Timbo erkannte er einen Seelenverwandten, einzelgängerisch, unangepasst und dickköpfig.
Starke Bilder
Nomi Baumgartl lernte Chris Galucci kennen, als der in einer Timbo-Krise war und zum ersten und einzigen Mal in 30 Jahren Urlaub vom Elefanten nahm. Fasziniert von Chris und seiner Geschichte, folgte sie dem Elefantenmann auf die Shambala-Ranch nach Kalifornien. Galucci erlaubte der Fotografin, ihm und Timbo zu folgen, aber in gebührendem Abstand und mit der gebotenen Vorsicht. Den Elefanten schien die Fremde nicht zu stören, bis er sich dann doch einmal nach ihr umdrehte und sie ins Visier nahm.
"Da sah ich fünf Tonnen Elefant sehr zügig auf mich zukommen. Chris hat nur gerufen, don't move. Ich konnte auch nicht ausweichen. Und dann stand er vor mir, in Rüssellänge, und hat in Zeitlupe seinen Rüssel genau auf meine Augen, meine Nase gelegt und hat mich einmal so richtig eingeatmet, eingesogen. Das war schon ein beeindruckender Moment. Und dann kam Chris zu mir und hat mir einen Schlag auf die Schultern gegeben und sagte: You got it, he trusts you", erzählt Nomi Baumgartl.
So gelangen Baumgartl starke Bilder, Fotos, überwiegend in Schwarzweiß aufgenommen, die eintauchen in die Welt von Chris und Timbo. Sie zeigen einen langhaarigen Mann mit weißem Bart und unzähligen Tattoos, der einen Elefanten begleitet, ihn bei den Stoßzähnen packt, ihm tief ins Auge blickt - oder sich einfach seinen Hobbys widmet, der fetten, chromblitzenden Harley oder den selbstgefertigten Messern. Sie zeigen Chris Galucci, der auf dem Wüstenboden liegt, friedlich und entspannt, offenbar im Reinen mit sich und der Welt. Und sie zeigen seinen stattlichen Freund bei seiner täglichen Wanderschaft, beim Fressen, beim Baden, im Dialog mit seinem Betreuer, sie zeigen die mächtigen Füße Timbos, seinen Rüssel und die schrundige Struktur der Haut in Großaufnahme.
"Man muss für irgendwen oder irgendwas leben"
Im Juli 2005 starb Timbo, 48 Jahre alt. Ein schwerer Schlag für Chris Galucci: Der Elefantenmann hatte keinen Elefanten mehr - und sieht nun offenbar seine Aufgabe darin, aus seinem Leben eine Philosophie zu machen und sie mit großem Sendungsbewusstsein unter das Volk zu bringen. Sei cool, sei unerschrocken, mach' deine Sache zu 100 Prozent. "Man muss für irgendwen oder irgendwas leben", ist Chris Galuccis Credo, "sonst hat das Leben keinen Sinn."
"Der Elefantenmann" ist die Geschichte einer innigen Zuneigung und einer fast archaischen Idylle. Wie in Henry Thoreaus "Walden", wird hier ein Leben am Rande der Zivilisation romantisiert, ein autochthones, scheinbar freies Leben, das keine Ketten kennt, ein Leben fernab von Konsumzwang, Karrieredenken und Unterhaltungsindustrie. Nur beiläufig klingt an, dass aus diesem engen Aufeinanderbezogensein von Mensch und Tier auch eine Abhängigkeit erwachsen kann, eine Unfreiheit, nur einmal schwant Chris Galucci, dass er sich auf der Shambala-Ranch sein eigenes Gefängnis gezimmert haben könnte. Doch dann kehrt er schnell wieder den Elefantenmann heraus mit seiner irgendwie typisch amerikanischen Philosophie: Du bist stark! Und: Du schaffst es!
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Nomi Baumgartl, Chris Galucci, "Der Elefantenmann", Verlag Frederking & Thaler, ISBN 9783894056827