Eine Kindheit im Hoxha-Regime

Das ewige Leben der Albaner

"Das ewige Leben der Albaner" ist nicht nur deswegen interessant, weil uns der Stoff fremd ist, sondern vor allem, weil dieser Roman großartig erzählt. Lakonisch verknappt und genau beschreibt Ornela Vorpsi ihre Kindheit unter dem Hoxha-Regime.

Ein schönes Mädchen und Tochter eines politischen Gefangenen sein war im Albanien des Diktators Enver Hoxha ein doppelter Fluch. Auf Ornela Vorpsi traf beides zu. In ihrem Roman "Das ewige Leben der Albaner" beschreibt sie einen Besuch im Gefängnis und die Schikanen der Lehrerin, die ihr den Kommunismus ganz besonders einbläuen wollte.

Sie erzählt auch, warum Schönheit eine Ursünde war. Es gab nämlich ein Thema, das alle Herzen höher schlagen ließ, das ein und alles der Albaner, das Gebildete und Ungebildete interessierte: das Herumhuren. So lautete das Stereotyp:

Ein hübsches Mädchen ist eine Hure, ein hässliches - die Ärmste! - ist keine.

Viel Autobiografisches eingearbeitet

Das Hoxha-Regime kroch jedem und jeder in die eigenen vier Wände, da gab es keinen Rückzug ins Private. Davon handeln die herben Mikroszenen dieses Buches. Wie Männer ihre Frauen behandelten, was Kinder in der Schule auszustehen hatten - der Erzählerin fährt die Lehrerin zur Strafe mit einem glühendheißen Lineal über die Haut -, all das hat zu tun mit der Ideologie und der Abgeschlossenheit des bettelarmen Landes. Nicht alles, was Ornela Vorpsi beschreibt, hat sie selbst erlebt, aber alles ist wirklich geschehen, wie sie im Gespräch betont:

"Ich wollte einfach das Alltagsleben eines albanischen Menschen zeigen, der im totalitären Staat von Enver Hoxha lebte. Literatur wurde in Albanien bis vor kurzem nur von Menschen gemacht, die von der Partei geschützt wurden. Die Menschen, die verurteilt waren, hatten keine Stimme in diesem Land, und ich gehöre zu dieser Sorte von Menschen."

"Gelobtes Land" Italien

Gefährlich war alles in diesem Land: alte italienische Ansichtskarten in die Schule mitzubringen, denn darauf waren Engel zu sehen; oder in einer italienischen Enzyklopädie nachschauen - dort war das bekannte Bild von Delacroix "Die Freiheit führt das Volk an" zu sehen, und die Frau auf dem Bild hatte eine nackte Brust, aber im Geschichtsbuch war sie mit einem weißen Stoff bedeckt.

Die ideologischen Phrasen der Partei und der Glaube an einen Wunderderwisch, Frauen, die an einer Abtreibung sterben, ins Wasser gehen, weil sie schwanger sind, oder sich mit dem Elektrokabel erhängen: eine grausame Archaik liegt über dem Albanien dieses Romans. Die Erlösung erhofft man sich am Ende vom "gelobten Land", von Italien. Aber dort lauert die Enttäuschung, das reale Leben stimmt mit den Fernsehbildern nicht überein. Die letzten Sätze des Romans lauten:

Sie wollen nichts mehr wissen vom gelobten Land. Sie haben begriffen, dass sie dort sterblich sind, aber sterben wollen sie nicht.

Der Heimat immer noch nahe

Als Ornela Vorpsi mit 22 Jahren in Italien ankam, hat sie das alles am eigenen Leib verspürt: die Sehnsucht nach Idealisierung, die völlige Unkenntnis des Kapitalismus, die Unfähigkeit, mit Freiheit umzugehen. Seit 15 Jahren lebt Ornela Vorpsi nun schon als Malerin, Fotografin und Videokünstlerin in Paris, aber ihren Debütroman hat sie auf Italienisch geschrieben. Die albanische Muttersprache, das Eintauchen in den alten Klang, das hätte noch zu weh getan.

Dem Land ihrer Herkunft ist sie nach wie vor nahe, auch wenn sie es selten besucht: "Ich fühle mich ganz als Albanerin, auch wenn ich nun schon seit 15 Jahren in der Welt unterwegs bin", sagt Vorpsi. "Ich besuche Albanien selten, aber nur aus dem Grund, weil ich überhaupt keine Reisende bin. Ich verfolge aber alles, was in Albanien geschieht, den ganzen Übergangsprozess, der sich gerade jetzt im Land vollzieht."

Dekonstruktion falscher Mythen

Ornela Vorpsis Roman ist eher eine Dekonstruktion Albaniens: der falschen Mythen, der scheinbaren Robustheit, mit der man sich durchs Leben schlägt, und der Idyllisierung, mit der das Land von außen betrachtet wird. Weil wir so wenig davon wissen, besteht auch die Gefahr, das Buch auf seinen Stoff zu reduzieren, doch "Das ewige Leben der Albaner" ist nicht nur deswegen interessant, weil uns der Stoff fremd ist, sondern vor allem, weil dieser Roman großartig erzählt: lakonisch verknappt und genau kalkuliert und gleichzeitig mit genauem Blick in die Psyche eines heranwachsenden Mädchens, das unter dem Zerbrechen der Familie, dem abwesenden Vater und den Kapriolen der Mutter leidet und sich in der Lektüre seine eigene Welt aufbaut.

Die albanische Kindheit und Jugend ist ein Teil von Ornela Vorpsis Identität, hier liegen auch die Wurzeln ihres fulminanten Prosa-Debüts. Es lässt einen nicht so schnell los, denn zu unverwechselbar und individuell fangen diese 140 Seiten die Fragmente eines Lebens ein, das in seiner Fremdheit und Unvorstellbarkeit nie zur Exotik verkommt. Grimm und Ironie, Träume und ein scharfer Blick auf die Mechanismen des Alltags lassen der Tristesse nicht das letzte Wort.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Ornela Vorpsi, "Das ewige Leben der Albaner", aus dem Italienischen übersetzt von Karin Fleischanderl, Zsolnay Verlag, Wien 2007