Starke Frauen
Die Kommissarinnen
Sie sind Einzelkämpferinnen, entschieden, ehrgeizig und selbstbewusst. Sie besitzen einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der sie oft in Konflikt mit dem Gesetz bringt. Schusswaffen gebrauchen sie selten. Umso präziser sind ihre Schlussfolgerungen.
8. April 2017, 21:58
Die Kommissarinnen im deutschsprachigen Film und Fernsehen sind keine Heroinen. Sie ermitteln dort, wo Fingerspitzengefühl gefragt ist. Private Konflikte, persönliche Krisen und innerfamiliäre Gewaltszenarien sind die häufigsten Sujets, mit denen sie konfrontiert sind. Politthriller und Mafiastorys sind ihren männlichen Kollegen vorbehalten.
Feministische Utopie
In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts betraten die Kommissarinnen die Bühne der Kriminalliteratur. Sie waren das Produkt einer feministischen Utopie und sie standen für eine neue Generation von Frauen, die sich gegen Unrecht zur Wehr setzten und den Mächtigen Widerstand leisteten.
Die bekannteste Detektivin der Postfeministischen Ära ist V.I. Warshawski. Sie ist eine Heroine, die von der US-amerikanischen Autorin Sara Paretsky entworfen wurde. Diese Figur ist äußerst attraktiv, sie ist schlagfertig und kann perfekt mit Schusswaffen umzugehen. Jeden ihrer Fälle löst sie bravourös. V.I. Warshawski stand Patin für eine ganze Generation von Krimiheldinnen in Literatur, Film und Fernsehen.
Weiblicher Alltag
Heute sind die strahlenden Detektivinnen nicht mehr gefragt. Die aktuellen Kommissarinnen in der Krimiliteratur büffeln mit ihren Kindern Vokabeln, sie kochen für ihre Liebhaber oder studieren die Partnerschaftsanzeigen. Es sind Figuren wie Laura Gottberg, die von der Münchner Autorin Barbara Veit entworfen wurde, oder die finnische Ermittlerin Maria Kallio, die Leena Letholainen entwickelt hat.
In den deutschsprachigen Film und Fernsehproduktionen hingegen sind Kommissarinnen Frauen, die in ihrem Beruf nahezu vollständig aufgehen. Nur wenige von ihnen müssen die widersprüchlichen Anforderungen von Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Dauerhafte Beziehungen gehen diese Ermittlerinnen nicht ein. Wenn sie Kinder haben, dann nur als Alleinerzieherinnen, berichtet die Wiener Historikerin Ursula Berner. Sie hat das Bild der Kommissarinnen im deutschsprachigen Film und Fernsehen untersucht.
Quotenfrauen
Auch in der Frage der Emotionalität unterscheiden sich die Film- und Fernsehkommissarinnen von ihren Kolleginnen in der Krimiliteratur. Denn literarische Kommissarinnen wie Laura Gottberg denken assoziativ, sie sind gefühlsbetont und widersprüchlich. Diese Figuren sind auf die überwiegend weiblichen Leserinnen zugeschnitten.
Die Kolleginnen in Film und Fernsehen sollen hingegen ein gemischtes Publikum ansprechen. Sie werden auf Grund ihrer weiblichen Eigenschaften oft dekonstruiert, indem ihren Schwächen betont werden, erklärt Ursula Berner.
Krasser Widerspruch zur Realität
Die Kommissarinnen in der Literatur und in Film und Fernsehen sind eine Fiktion und stehen im krassen Widerspruch zur Realität. Denn heute gibt es in ganz Österreich im Bundeskriminalamt nur zwei Frauen, die in leitender Position beschäftigt sind und damit dem Rang einer Fernsehkommissarin entsprechen. Die beiden Beamtinnen sind im Landeskriminalamt Wien im Bereich der Gewaltprävention tätig.
Die Kommissarinnen im Krimigenre sind Sympathieträger. Sie sollen vor allem das weibliche Publikum vor den Fernsehschirm locken und damit die Quoten sichern. Auch die Buchhändler versprechen sich einen größeren Absatz, wenn Kommissarinnen brisante Fälle lösen. Denn rein statistisch gesehen sind es vor allem Frauen, die Belletristik lesen.
Solidarisches Agieren
In den deutschsprachigen Film- und Fernsehproduktionen der vergangenen Jahre gibt es kaum Solidarität, geschweige denn Freundschaft zwischen den Ermittlerinnen. Solidarisch hingegen agieren die Krimiautorinnen selbst. Sie haben sich vernetzt, um Lesungen zu organisieren oder Verlage zu finden. Bereits Mitte der 1990er Jahre wurde in Österreich die Organisation der "Mörderischen Schwestern" gegründet, die nach dem Vorbild der US - Amerikanischen "Sisters in Crime" Krimiautorinnen zum Durchbruch verhelfen soll.
Heute haben die Autorinnen das ursprünglich von Männern dominierte Genre des Kriminalromans erfolgreich erobert. Sie beschreiten Wege, die bereits vor ihnen Schriftstellerinnen wie Agatha Christie oder Patricia Highsmith genommen haben, indem sie die Abgründe der menschlichen Psyche durchleuchten und soziale Kritik in spannende Geschichten verpacken. Veranstaltungen wie die "Kriminacht" oder das jährliche Festival der deutschsprachigen Kriminalliteratur Criminale, das 2008 in Wien stattfinden wird, dokumentieren die Vielfalt der deutschsprachigen Kriminalliteratur.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 24. September bis Donnerstag, 27. September 2007, 9:30 Uhr
Links
Die Kriminacht
Die Criminale
Mörderische Schwestern
Sisters in Crime