Die Frage aller Fragen

Hat es geschmeckt?

Ich fühle mich verfolgt, von dieser Frage. Kaum habe ich, wie es mir als Kind beigebracht worden ist, in einem Lokal brav aufgegessen, werde ich verbal belästigt. Warum will der Kellner oder die Kellnerin das von mir wissen?

Hat es geschmeckt? Soll ich sie mit einem Ja in ihrem Ego bestätigen, soll ich sie mit einem Nein und einem vernichtenden Blick bestrafen, jedes Mal schwanke ich zwischen den beiden Extremen, während mich das Servierpersonal erwartungsvoll, manches sogar provokant-herausfordernd, anblickt. Schon fühle ich mich schuldig, versuche Sätze mit zweifelhaftem Speichelfluss zu produzieren und würge diese hinunter statt heraus.

Wie hat es geschmeckt? Wollen sie wissen. Ungeheuerlich. Soll ich jetzt eine ausführliche kulinarische Kritik abliefern? Und was soll ich sagen, wenn es mir eigentlich nicht geschmeckt hat, angesichts der Tatsache, dass gerade mein leerer Teller abserviert wird? Ich sehe ihn ja bereits, den mitleidigen Blick der Servierkraft, kaum sage ich "schlecht".

Ich ahne es voraus, das zweifelnde Heben der Augenbrauen und die darauf folgende abgrundtiefe Verachtung. Ich will nicht dafür verachtet werden, nur weil ich wegen eines Hungeranfalls auch zähes Fleisch, matschiges Gemüse und zerkochte Erdäpfel gegessen habe.

Es ist immer dasselbe, erst nach dem achselzuckenden Abgang der Servierkraft, das scheint mir jetzt der passende Ausdruck zu sein, erst nach diesem Gefühl des "Sitzengelassenwerdens" fällt mir ein, dass ich eigentlich eine Beschwerde einbringen hätte wollen. Ja, so richtig auf den Tisch gehauen hätte ich gerne. Weil mir die unerhörte Person die Hauptspeise serviert hatte, während ich noch beim Auslöffeln meiner Suppe war. Und die Hauptspeise war dann natürlich lauwarm. Dafür durfte ich dann auf die Nachspeise eine halbe Stunde lang warten und musste bezahlen, bevor ich aufgegessen hatte, weil die Servierkraft Dienstschluss hatte.

Dabei hatte ich mir vor Beginn des Essens vorgenommen, diesmal etwas Vegetarisches zu wählen, etwas Leichtes, gut Verdauliches.

Quizfrage! Was findet man auf Speisekarten desambitionierter Land- und Vorstadtwirtshäuser in der Regel unter der Rubrik vegetarisch? Gebackenen Emmentaler oder Camembert in Panier, beide häufig unter falschem Etikett und schwer im Magen liegend. Beide verursachen bei den getäuschten Konsumenten wohlverdiente Reuegefühle.

Den Gipfelpunkt an Dreistigkeit erlebte ich vor zwei Wochen. Schwungvoll wurde mir von der Kellnerin der bestellte Toast serviert. Ein beinahe schwarzes Quadrat aus dem flüssiger Käse heraus quoll.

"Entschuldigen sie bitte!", rief ich der Davoneilenden nach. Da war sie schon wieder, diese unangebrachte Devotion, warum entschuldige ich mich, dachte ich, wofür überhaupt?

"Ja, was gibt es noch?" Führte mir die Kellnerin ein Lehrbeispiel an resoluter Forschheit vor.

"Der ist ja verbrannt!" Bemühte ich mich darum, mit der simplen Kraft der Wahrheit zu überzeugen.

"Mir schmeckt's so!" Und weg war die Unholde.

Hör-Tipp
Moment. Kulinarium, jeden Freitag, 17:09 Uhr