Eine künstlerische Doppelbegabung
Der Komponist E. Th. A. Hoffmann
Er bezeichnete Haydn als einen romantischen Komponisten und schrieb selbst im Stil der Wiener Klassiker oder Palestrinas und dichtete fantastische Geschichten: E. Th. A. Hoffmann. Warum empfand er die Musik seiner Gegenwart nicht als "romantisch"?
8. April 2017, 21:58
Joseph Haydns Musik atmet "romantischen Geist" - und sie ist imstande, die Seele von geheimnisvollen Schmerzen zu befreien. E. Th. A. Hoffmann, der besondere Fall einer künstlerischen Doppelbegabung, hat mit derartigen Aussagen in seinen theoretischen Schriften gleichermaßen wie in Erzählungen dem Genius des Vaters der Wiener Klassik gehuldigt. Und der Dichter-Komponist hat seinen ursprünglichen dritten Vornamen Wilhelm aus Verehrung für Mozart in Amadeus umgewandelt und Klug-Kritisches über Beethoven geschrieben.
Klares Herausarbeiten struktureller Phänomene und zutiefst emotionales Interpretieren derselben - das liegt bei ihm auf ein- und derselben Linie - exemplarisch nachzulesen in der Erzählung "Das Sanctus". Dort verlässt eine berühmte Sängerin während der Aufführung der Haydn'schen "Nelson-Messe" - eben erklingen die "vollen Akkorde des Sanctus, bei denen den Menschen die Schauer der tiefsten Andacht durchbeben" - die Kirche, um sich, getrieben von eigener Eitelkeit, anderswo zu produzieren. Aber ein solches Verhalten straft sich gleichsam von selbst - sie verliert ihre Stimme und muss, um geheilt zu werden, eben jene "vollen Akkorde" Haydns nochmals - und diesmal mit ungeteilter Hingabe - erleben.
Die Wurzeln der Romantik
Hoffmann weist in seinen theoretischen Schriften, aber auch in den musikalischen Passagen seiner großen Novellen, der Musik und dem Umgang mit ihr eine auffallend zeitkritische Rolle zu. Groß ist für ihn die Musik der Vergangenheit - beginnend mit Palestrina - groß ist jene des Barock - expressis verbis jene von Händel und Sebastian Bach - und jene der Wiener Klassiker.
Die Musik seiner Gegenwart ist per se nicht groß, da sie zum inhaltslosen Gebrauchsgegenstand geistloser Gesellschaften geworden ist - Zwecken dienend, mit denen der ernsthaft strebende Mensch nichts zu tun haben darf und will.
Der "wahre Geist"
Die Musik seiner Gegenwart empfindet Hoffmann daher nicht als "romantisch", da ihr der "wahre Geist", der in Palestrina wie in Haydn weht, fehlt. Dieser "wahre Geist" ist aber an sich ein romantischer und daher die Wurzel aller romantischen, aller großen Musik.
Er selbst schreibt demnach auch nicht "romantisch" im Sinne seiner Zeit und von deren Stil, sondern bezieht sein Vokabular aus seiner bemerkenswert umfangreichen Kenntnis der Musik der Jahrhunderte vor ihm und er setzt gleichzeitig mit seiner "Don Juan"-Erzählung Mozarts Oper ein romantisches literarisches Denkmal voll subjektiver Interpretation.
Musik als sinnliche Kunst
Musik ist für ihn per definitionem eine "christliche Kunst", da sie sinnlich ist. Und erst das Christentum hat die Sinnlichkeit als Factum gesetzt - die vorangehende Antike war seiner Meinung nach "leiblich" und daher ein Zeitalter der Plastik. Erstaunlicherweise treffen sich Hoffmanns Überlegungen mit ähnlichen, welche einige Jahrzehnte später der dänische Philosoph Sören Kierkegaard in seinem ersten großen Werk "Enten - Eller" formuliert.
Der "romantische" - auf seiner Weise in den Tiefen des Feistes forschende Künstler und der strenge Denker finden zu ähnlichen Ergebnissen - auch dieses Phänomen kann als durchaus "romantisch" im Sinne Hoffmanns und seines "wahren Geistes" aufgefasst werden. Und vielleicht ist es in diesem Zusammenhang doch von Belang, dass der dichtende Komponist in Königsberg, der Stadt Immanuel Kants, geboren wurde.
Hör-Tipp
Apropos Klassik, Mittwoch, 26. September 2007, 15:06 Uhr
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