Von der Katastrophe zur Patentlösung
Premiere eines fast neuen Orchesters
Letzte Woche gab die neu gegründete "Deutsche Radiophilharmonie" ihr Eröffnungskonzert in Kaiserslautern. Mit dem traditionsreichen RSO Saarbrücken und dem Rundfunkorchester Kaiserslautern haben erstmals zwei deutsche Rundfunkorchester fusioniert.
8. April 2017, 21:58
Mit dem traditionsreichen RSO Saarbrücken (SR) und dem Rundfunkorchester Kaiserslautern (SWR) haben sich erstmals zwei Rundfunkorchester fusioniert. Am 22. September gab die neu gegründete "Deutsche Radiophilharmonie" ihr Eröffnungskonzert in Kaiserslautern.
Der volle Titel verlangt die Nennung "Saarbrücken Kaiserslautern", worauf der Manager Benedikt Fohr und der Chefdirigent Christoph Poppen großen Wert legen. Wer "DRP" googelt, wird zunächst auf einen im Business Management eingeführten Begriff stoßen. Das Kürzel steht für "Disaster Recovery Plan".
Was war denn an den Orchestern des Saarländischen Rundfunks (SR) und des Südwestrundfunks (SWR; Kaiserslautern) so desaströs, frage ich Benedikt Fohr, den Manager des neuen Klangkörpers, dass RSO Saarbrücken und des Rundfunkorchesters Kaiserlautern sich zur Fusion entschlossen. "DRP", pariert dieser souverän, stand ja auch einmal für "Deutsches Reichs-Patent." Und das sollte Produkte vor Nachahmung schützen.
Orchester + Orchester = Philharmonie
Eine Katastrophe hatte tatsächlich gedroht. Die zweitgrößte und die zweitkleinste ARD-Anstalt fanden eine nun sehr wohl nachahmenswerte Patentlösung. Der Saarländische Rundfunk sollte bis 2008 gut 300 Stellen "einsparen." Verschont blieb vorerst das hochkulturelle Vorzeigeprodukt des Saarlandes und des Senders, das RSO Saarbrücken (das vor 70 Jahren gegründet worden war), obwohl es bis zu 10 Prozent des Gesamtetats "beanspruchte."
Beim SWR 4 war als Hausorchester das Rundfunkorchester Kaiserslautern engagiert, doch hatte der Sender die "Musikfarbe" geändert. So kam er zustande, der Katastrophennotfallsplan. Das neue Orchester firmiert und musiziert seit September unter dem Namen "Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern" und verfügt zunächst noch über 114 Musiker. Geschrumpft wird mittels "Nichtnachbesetzung" auf 87, immer noch drei Stellen mehr als beim RSO Saarbrücken.
Breites stilistisches Spektrum
Der Name soll Kontinuität und Aufbruch signalisieren: Aus zwei unterschiedlichen Klangkörpern einen "A-Klangkörper" zu formen, der sich am Niveau des RSO des NDR oder des WDR orientiert. Die Kaiserslautener hatten seit 1946 zunächst überwiegend "U", Operette, Musical, Filmmusik, und "leichtere Klassik" gespielt, die Saarbrückener "E", "Klassik" bis "neue Kunstmusik".
Letztere waren, etwa unter dem Dirigenten Hans Zender, gewohnt, von Berio bis Xennakis und Zender Zeitgenössisches, die ersteren Abraham, Lehár, Dostal bis Webber. Nichts davon wird aufgegeben. Aus beiden Gruppen ein homogenes Ensemble zu formen, ist die Aufgabe eines Dirigenten, die einem in der Branche hoch angesehenen Musiker übertragen ist. Der 1956 in Münster geborene Christoph Poppen ist überzeugt, "das große stilistische Spektrum hoch qualifizierter Musiker" für beide Bereiche nutzen zu können.
Innovativ - auch mit Tschaikowsky
Die Programme sollen "flexibel und innovativ" sein. Tschaikowsky, einer der Schwerpunkte der Saison 07/08, innovativ? "Jein", ist die Antwort des ehemaligen ersten Geigers des Cherubini Quartetts, das er 1978 gegründet hatte. Der komplette Zyklus ist ja nicht gar so oft aufgeführt und aufgenommen worden, und ihn interessiere die zerbrechliche Seite dieser Werke, die oft von den lauten, eruptiven "überrollt" würden.
Das Schwanken zwischen Resignation und Hoffnung, Moll und Dur, "Tonartenexperimente" auf kleinstem Raum, auch die unglaubliche Sehnsucht erinnern ihn an Schubert, und dann diese unendlichen Melodien, die bei Schubert freilich "noch unendlicher" sind. An Tschaikowsky würde sich auch sehr gut die Entwicklung dokumentieren lassen.
Von idealen zu ideellen Fusionierungen
Ein "sehr neugieriges Publikum" wird die DRP im "Großraum SaarLorLux und Rheinlandpfalz" auch mit "composers in residence" vorstellen, heuer Jörg Widmann, dessen "zutiefst emotionale menschliche Kraft" er schätzt, nächstes Jahr Aribert Reimann. Innovativ in der Region sind Gesprächskonzerte mit dem Dirigenten, intensive Zusammenarbeit mit Schulen (eine eigene Stelle ist dafür geschaffen worden), ein "Podium der jungen Solisten" und Kooperation mit Metz und Luxemburg beziehungsweise deren Orchestern.
Am 24. September wurde in der Münchener "Philharmonie Gasteig" mit Tschaikowskys "Vierter" und seinem Violinkonzert (die phänomenale Janine Jansen war für Maxim Vengerow eingesprungen) ein mehr als gelungener Einstand als Tourneeorchester gefeiert. Vorbild für offensive, "fast schon aggressive", Werbung sind die "Tonkünstler Niederösterreich". Nach der idealen nun gleich auch die ideelle, temporäre Fusionierung: "DRP Saarbrücken Kaiserslautern" und das RSO Wien haben beim Österreicher Thomas Larcher ein Violinkonzert bestellt.
Mehr zum RSO Wien in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Apropos Klassik, Freitag, 28. September 2007, 15:06 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Links
Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
SR-online - Christoph Poppen
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
RSO Wien