Mythen und Legenden
Der schöne Guerillero
Ernesto Ché Guevara ist bis heute der strahlende Held der kubanischen Revolution - neben Fidel Castro, seinem Bruder im Geiste. Er ist eine Ikone auf dem gesamten Globus. Man kann ihm kaum entgehen. Am 9. Oktober jährt sich sein Todestag zum 40. Mal.
8. April 2017, 21:58
Ché als Vorbild
Das letzte Foto zeigt ihn in Bolivien: Der leblose Körper des "Comandante", zur Strecke gebracht von einer Truppe Menschenjäger, die ihn wie edles Wild durch den Dschungel jagte und schließlich mit Gewehrkugeln durchsiebte. Aufgebahrt wie ein Heiliger. Der schöne Guerillero mit nacktem Oberkörper und spärlichem Bartwuchs. Selbst auf der Totenbahre kann man noch seinen durchdringenden Blick ausmachen.
Ernesto Ché Guevara ist - bis heute - der strahlende Held der kubanischen Revolution. Freilich neben Fidel Castro, seinem Bruder im Geiste. Er ist eine Ikone auf dem gesamten Globus. Man kann ihm kaum entgehen. Auf T-Shirts, Häuserwänden, in der Kunst; auf Kaffeetassen, Postkarten und Tonträgern - "El Ché" ist überall. Zum 40. Mal jährt sich nun sein Todestag.
Theorien und Gerüchte
Die Liste der Mythen und Legenden, der Theorien und Gerüchte rund um den in Argentinien geborenen "Heiland aller Freiheitskämpfer" und Symbolfigur im Kampf gegen das "amerikanische Imperium" ist allerdings eine nie enden wollende. Eine dieser Theorien: Ché sei nicht vom bolivianischen Militär, sondern im Auftrag der CIA getötet worden.
Mit Ché Guevara wurde 1967 eine Ikone des Freiheitskampfes in der Welt ausgeschaltet. Aber der "13. Apostel" war damit geboren. Nachdem es in den 1970er Jahren eher ruhig um seine Person wurde, betrat er 30 Jahre nach seinem Tod, 1997, wieder die Weltbühne. Man hatte seine sterblichen Überreste in Bolivien gefunden und nach Kuba überstellt, nach Santa Clara, jener Stadt, deren Fall Ende 1958 nach einem von Ché Guevara geführten Angriff den kubanischen Diktator Fulgencio Batista zur Flucht zwang, womit der Sieg der Revolutionäre faktisch besiegelt wurde. Dort errichtete man ein Mausoleum.
Ein zwanghafter Asket
El Ché war nicht nur Freiheitskämpfer, sondern mehr: Ein zwanghafter Asket etwa, der im Kuba des Fidel Castro freiwillige Arbeitseinsätze forcierte und mit der Machete auf den Zuckerrohrfeldern arbeitete. Etikette hasste er; er, der 1964 im nachlässigen Guerilla-Outfit, mit ungekämmtem Haar vor der UNO-Vollversammlung eine antiimperialistische Rede schwang.
Er war ein sensibler Romantiker, der in seiner vorrevolutionären Zeit Reisen durch ganz Lateinamerika unternahm, lauthals Pablo Neruda und García Lorca rezitierte und empfindsame Briefe an seine Geliebte schrieb.
Das berühmte Ché-Foto
Der Ché-Kult beruht vor allem auf einem weltberühmten Motiv, das den Comandante am Höhepunkt seiner Laufbahn zeigt: Eine Frontalansicht seines Antlitzes, der Kopf bedeckt von der Baskenmütze mit dem Kommandantenstern. Die langen Haare flattern wie in einem Werbeclip im Wind. Der kubanische Modefotograf Alberto Korda schoss das Jahrhundertfoto im März 1962. Korda war begeisterter Dokumentarist der kubanischen Revolution.
Das Foto aber wurde erst Jahre später berühmt. Als der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli bei einem Besuch auf Kuba in Kordas Archiv nach Fotos wühlte, fand er das Porträt. Als dann Ernesto Ché Guevara im bolivianischen Freiheitskampf fiel, druckte der Italiener das Foto auf Plakate. Bis heute vermittelt der ikonische Schnappschuss wofür er damals stand: "Den Aufstand gegen das Spießertum und die Unversöhntheit mit konservativer Machtattitüde", wie Kurator und Publizist Thomas Mießgang in seinem eben erschienenen Buch "Ché Guevara - Ich bin ein optimistischer Fatalist" erklärt.
Mehr Gesicht als Hirn der Revolution
In erster Linie war Ché Guevara mehr das Gesicht zur Revolution denn ihr Hirn. Seine politischen Schriften erschienen erst später. Seine Thesen zum Guerillakrieg und seine Forderung "Schafft zwei, drei, viele Vietnams" wurden vor allem in Kreisen der Neuen Linken diskutiert. Thomas Mießgang schreibt: "Erst der wie von einem Spin Doctor getimte Tod - zeitgerecht zum Mai 1968 - gekoppelt an jenes fotografische Triptychon, das die Geschichte von Heroismus, Tod und Transzendenz auf die knappest-mögliche ikonografische Formel brachte, sicherte Ché jene Form von Celebrity, die mit Geldeinsatz und ausgeklügelten Marketing-Methoden nicht erreichbar ist: Es ist die Berühmtheit eines Mao Zedong, eines John F. Kennedy, aber auch eines Elvis Presley."
Selbst Jean-Paul Sartre bezeichnete den Revolutionär einmal pathetisch als "den vollkommensten Menschen unserer Zeit." Die Liste solcher Zitate ließe sich lange fortsetzen. Warum soviel Begeisterung für Ché? Die späten 1960er Jahre waren vielleicht die einzige Phase dieser Aufbruchszeit, in der Guevaras Forderung - "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche" - eine Chance hatte, mehr zu sein als nur Pathos. Und Ché Guevara schien ihre ideale Integrationsfigur zu sein.
Fidel und Ché
Dass - trotz gleichen Feindbildes - Ché Guevara und Fidel Castro zueinanderfanden, grenzt an ein Wunder. Fidel und Ché, das war wie das Aufeinandertreffen von Feuer und Eis. Der Kubaner impulsiv, emotional und optimistisch. Der Argentinier nachdenklich, kalt und skeptisch. Fidel behandelte Ché zu Beginn nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche.
Blieb Ché wegen eines Asthmaanfalls hinter der Truppe, wurde ihm die Waffe abgenommen. Doch auch wenn Ché nicht die erste Wahl für einen Comandante war, fehlte es dem Líder an geschultem Kaderpersonal. Ché war aber bei allen Differenzen der beiden immer der treue Diener seines Herren geblieben. Und Fidel schickte ihn gern als Schreckgespenst in die Hochburgen des Imperialismus oder als Verhandler in den Ostblock.
Nur ein wirklicher Erfolg
Genau genommen gab es im kurzen Leben des Ernesto Ché Guevara nur einen wirklichen Erfolg: Die Beteiligung an der kubanischen Revolution. Und auch dort war er nur die Nummer drei, nach den Brüdern Castro. Doch der Verlauf der Geschichte ist allgemein bekannt und für Ernesto Ché Guevara war es wohl eine posthume Genugtuung, dass er noch vor den beiden anderen zum Posterboy der Revolution wurde.
Zwei Jahre vor seinem Tod schrieb Ché in einem Brief an seine Eltern: "Viele werden mich einen Abenteurer nennen, und ich bin auch einer; nur von besonderer Art, einer von denen, die ihre Haut hinhalten, um ihre Wahrheiten zu beweisen."
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 29. September 2007, 17:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Thomas Mießgang, "Ché Guevara - Ich bin ein optimistischer Fatalist", im Fackelträger-Verlag, ISBN 9783771643461