Erwürgen ist auch was Feines
Donna Leon im Gespräch
Sie bezeichnet sich selbst als "Handwerkerin“ und will ihre Krimis nicht als Literatur verstanden wissen. In ihren Kriminalromanen sind übrigens mehr Menschen gewaltsam zu Tode gekommen, als die offizielle Mordstatistik ihrer Wahlheimat Venedig ausweist.
8. April 2017, 21:58
Ihre Passion für die Musik von Georg Friedrich Händel ist sprichwörtlich, dessen Oper "Alcina“ ihr Lieblingswerk. Der Erhalt einer lebenswerten Umwelt ist ihr ebenso ein großes Anliegen wie das kulturelle Erbe Europas. Und die "Vulgarität“ amerikanischer Politik interessiert sie ebenso, wie sie sie erzürnt. Michael Kerbler hat Donna Leon in Venedig zu einem Gespräch gebeten. Das Gespräch fand in englischer Sprache statt und wurde für die Radiosendung übersetzt. Im Audio am Kopf der Seite hören sie Donna Leon im englischsprachigen Originalton.
Michael Kerbler: Donna Leon, 700 - 750 neue Kriminalromane kommen jedes Jahr im deutschsprachigen Raum heraus, davon sind ca. 400 original, 300 werden übersetzt, darunter auch Ihre Romane. Mindestens ein Fünftel vom Umsatz im Belletristikbereich wird mit Kriminalromanen erzielt. Wie erklären Sie sich diese unglaubliche Nachfrage, dieses Interesse an Kriminalromanen?
Donna Leon: Weil man am Ende eines Kriminalromans weiß, wer der Täter ist und er auch bestraft wird. In der Realität erfährt man, wer es war, aber für gewöhnlich wird die Person, die die Tat begangen hat, nicht bestraft. Ich glaube, das ist der Grund, warum die Menschen Kriminalliteratur mögen, weil die Bösen am Ende der meisten Bücher bestraft werden. Anna Politkowskaja - sie wurde in einem Aufzug in Moskau erschossen und wir werden niemals wissen, wer das getan hat. Uns wird vielleicht gesagt, wer es getan hat, aber wir werden niemals wirklich wissen, wer es war. Und zweifellos wird derjenige, der es tatsächlich getan hat, nie bestraft werden. Ich glaube die Liste der Verbrechen, die nicht bestraft und gelöst werden, ist endlos. Und die Menschen mögen das nicht. Ich glaube, das liegt an irgendetwas in der menschlichen Seele. Kinder mögen es nicht, wenn jemand am Spielplatz etwas Böses tut und dann gewinnt. Die Kids mögen das nicht, weil irgendetwas in uns drinnen existiert, das uns sagt: das ist einfach nicht richtig. Und deswegen glaube ich, dass Menschen sich der Kriminalliteratur zuwenden, weil sie diese Debatte beendet und das Rätsel löst. Ich glaube, dass vielleicht der Erfolg einiger Krimibücher sehr oft darin besteht, dass man den Täter einfach kennt. Der Täter muss gar nicht unbedingt bestraft werden, die Leser wollen nur wissen, wer der Täter ist. Und so ist es auch in der Gesellschaft: wenn wir wissen, wer es war, dann sind wir glücklich. Und ob sie dann bestraft werden oder nicht, das ist wieder eine andere Ungewissheit oder eine andere Unberechenbarkeit. Ich glaube wirklich, dass das der Grund ist, warum diese Bücher so beliebt sind.
Die Umweltfanatikerin
Hilft Kriminalliteratur, die Fiktion einer gerechten Gesellschaft aufrechtzuerhalten - also gerade diese Kluft zwischen Gerechtigkeit und Recht, was nicht immer deckungsgleich sein muss?
Ja, und häufig wird in diesen Kriminalromanen ja auch das Gesetz als ungerecht dargestellt. Ich bin davon überzeugt, dass Kriminalromane nicht so sehr am Gesetz als an Gerechtigkeit interessiert sind. Auch weil die Erfahrung zeigt, dass das, was legal ist, sehr oft nicht gerecht ist. Weil ich zu aller erst einmal eine Umweltschützerin bin, würde ich sagen, dass es legal ist einen Geländewagen zu haben. Es gibt kein Gesetz, das sagt, dass man keinen Swimmingpool haben darf oder ein Haus mit 5.000 Quadratmeter Wohnfläche inklusive Klimaanlage. Aber ich glaube im Laufe der Zeit werden mehr und mehr Leute feststellen, dass es Unrecht ist, einen Geländewagen, oder ein Riesenhaus oder einen Swimmingpool oder einen Privatjet zu haben - aber diese Dinge sind nicht illegal, noch nicht. Und in einer gewissen Art und Weise sind Kriminalschriftsteller Propheten, weil sie heute schon sagen, dass diese Dinge nicht rechtens sind. Das Gesetz hinkt im Gegensatz dazu immer einen Schritt hinterher und sagt sogar - nein! Kauft einen weiteren Geländewagen, sogar noch einen größeren, mit einem größeren Motor. Nehmt Euch einen größeren Swimmingpool, ein größeres Haus - aber sie sehen: ich bin eine Fanatikerin, was dieses Thema anbelangt.
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Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 4. Oktober 2007, 21:01 Uhr
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"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop
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