Die neue Schlichtheit

Wagnerianer und Antiwagnerianer

Zu jener Zeit, als die Werke Richard Wagners der Inbegriff von musikalischem Ausdruck waren, komponierten nicht nur Opernkomponisten im Stile der dichten Harmonik Wagners. Gegen diesen Wagnerianismus formierten sich auch Gegenoffensiven.

Goldmark vs. Satie

Als in den musikalischen Zentren Europas für viele Richard Wagner der Inbegriff von musikalischem Ausdruck war, komponierten zahlreiche Komponisten nicht nur Opern, sondern auch Kammermusik im Stile der dichten, manchmal überladenen Harmonik Wagners. Einer von ihnen war Karl Goldmark (1830-1915), der in Wien einen Wagner-Verein gründete. (Hören Sie dazu den ersten Teil unseres Audios: Goldmark-Streichquartett, Anfang des ersten Satzes.)

Jean Cocteau - jener Schriftsteller, Choreograph und Filmregisseurs, der Surrealismus und Dadaismus unterstütze und mitinitiierte - machte sich in einer frühen Schrift aus dem Jahr 1918 zum Wortführer einer jungen Pariser Komponistengeneration, die gegen die deutsche Musik antrat (Groupe de Six: unter anderem Poulenc, Honegger und Milhaud). Und das mit einer beträchtlichen Wut: Man staunt teilweise über die Verbitterung in den Formulierungen Cocteaus.

Cocteaus Gegenoffensive

Gegen den Wagnerianismus, den Cocteau auch in der französischen Musik etwa bei Debussy entdeckte, rief Cocteau zu einer Gegenoffensive unter dem Motto einer neuen "Schlichtheit" auf.

Man darf Schlichtheit weder für ein Synonym von Armut, noch von Rückgang halten. Die Schlichtheit ist ebenso fortschrittlich wie das Raffinement. (...)

Die Schlichtheit, die sich als Reaktion auf ein Raffinement einstellt, hängt von diesem Raffinement ab; sie erlöst, sie verdichtet die erworbene Fülle. (...)

In diesem Buch ist keine Rede von einer existierenden Schule, sondern von einer Schule, für die es keine Anzeichen gibt, abgesehen von den Erstlingsfrüchten einiger Junger. (...)

(Aus: Jean Cocteau, "Le coq et l'arlequin / Hahn und Harlekin - Aufzeichnungen über Musik")

Die neue Schlichtheit

Cocteau fügt hier ausdrücklich den Namen Erik Satie an, dessen berühmte erste Gymnopédie damals schon 20 Jahre alt war (zu hören im zweiten Teil unseres Audios - nüchtern und schlicht gespielt von Peter Dickinson), und dessen gerade komponierter "Socrate" (1919) für ihn ein Musterbeispiel der neuen Schlichtheit war (hören Sie den dritten Teil des Audios).

Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 10. Oktober 2007, 10:05 Uhr

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