Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges
Wie im echten Leben
Der Niederländer Joris Luyendijk hat nach fünf Jahren als Auslandskorrespondent im arabischen Raum das aufgeschrieben, was ihn während dieser Zeit und danach am meisten beschäftigt hat: Bilder und Lügen in Zeiten des Krieges.
8. April 2017, 21:58
Die meisten Auslandskorrespondenten lernen ihren Job im eigenen Land, bevor sie auf die Welt losgelassen werden. Bei mir war das anders. Ich habe keine journalistische Ausbildung, sondern habe Sozialwissenschaften und Arabisch studiert und mich ein Jahr lang in Kairo mit Leuten in meinem Alter beschäftigt. Darüber habe ich ein Buch geschrieben, und so sind die niederländische Tageszeitung "de Volkskrant" und die Redaktion der Nachrichtensendung "Radio 1 Journaal" auf mich aufmerksam geworden. (...) Bei meiner Ankunft in Kairo hatte ich also kaum Erfahrung in dem Job, und obwohl ich bei der Zeitung und dem Radio einige Tage hatte reinschnuppern dürfen, dachte ich über den Journalismus nicht anders als ein durchschnittlicher Leser, Zuschauer oder Hörer: Journalisten wissen, was in der Welt los ist, die Nachrichten informieren uns darüber und sind dabei möglichst objektiv.
Der Niederländer Joris Luyendijk kam frisch von der Uni, als er 1998, im Alter von nur 27 Jahren, für fünf Jahre als Auslandskorrespondent in den arabischen Raum ging. Er war Autor, konnte Arabisch und kannte Ägypten, hatte aber keinerlei journalistische Erfahrung.
Organisierte Schau für Journalisten
Der Sprung ins kalte Wasser war hart. Nach seiner Ankunft in Ägypten hatte Joris Luyendijk noch nicht einmal seine Umzugskisten ausgepackt, als er schon einen Anruf von der Redaktion erhielt und in den Sudan geschickt wurde - ein Land, in dem er noch nie gewesen war. Eine "Islamische Front für den Dschihad gegen Juden und Kreuzritter" hatte zwei US-Botschaften in Afrika in die Luft gejagt. Die USA hatten in der Folge ein Trainingscamp der Front in Afghanistan und eine angebliche Chemiewaffen-Fabrik im Sudan bombardiert, die einem gewissen Osama Bin Laden gehören sollte. Die sudanesische Regierung sagte jedoch, dort seien Medikamente hergestellt worden.
Der junge Korrespondent schloss sich also dem Medientrupp an, der nach Khartum zog, und war fassungslos, was ihn dort erwartete: Die Sudanesen hatten die Überreste der Fabrik schön für die Kameras drapiert, das Informationsministerium führte die Journalisten zu Verwundeten in Krankenhäuser und zu Demonstrationen in der Stadt. In Nahaufnahme wirkten diese beeindruckend und schafften es in die CNN-Nachrichten. So also funktionierte das.
Schlechter informiert als die Redaktion
Die Redaktion in Amsterdam, London oder Paris weiß meist mehr als der Korrespondent vor Ort, weil sie Zugang zu einer Reihe von Presseagenturen, Nachrichtensendern und dem Internet hat. Der Korrespondent muss sich in vielen Ländern mit schlechten Telefonverbindungen, Stromausfällen und Zensur herumschlagen. Meist ist er auch allein rund um die Uhr für ein riesiges Gebiet zuständig. Nicht selten passiert es deshalb, dass die Redaktion anruft und zum Beispiel sagt: In Soundso-Stadt war ein Bombenanschlag, was weißt du denn darüber? Und der Korrespondent müsste sagen: Nichts. Im Grunde wissen alle, dass es so läuft bloß das Publikum nicht.
Er habe den Eindruck gewonnen, so Joris Luyendijk, dass die Korrespondenten am Ende eines Fließbands stehen und das Geschehen bloß moderieren sollen.
Fehlurteile und Missverständnisse
In Diktaturen sei ein Journalismus im westlichen Sinne nicht möglich, so Joris Luyendijk. Das bedeute aber nicht, dass westliche Medien keine Journalisten in solche Länder schicken sollten - im Gegenteil. Statt so zu tun, als ob sie über die Lage Bescheid wüssten, sollten sie jedoch erklären, was sie beobachten, was sie nicht wissen, und warum. Dann würde auch das extrem vereinfachte Bild der arabischen Welt im Westen differenzierter.
In seinem Buch liefert Luyendijk viele Beispiele dafür, wie durch die Vereinfachung der Medien und durch westliche und östliche Propaganda Fehlurteile und Missverständnisse in der westlichen Öffentlichkeit entstehen. Das etwa 250 Seiten starke Buch ist leicht zu lesen, aber manchmal schwer zu verdauen, wenn man feststellt, welchen Irrtümern man bisher aufgesessen ist. Wie kaum ein Journalist beschreibt Joris Luyendijk auch, was Diktatur bedeutet und wie schutzlos ausgeliefert er sich zum Beispiel im Irak Saddam Husseins gefühlt habe.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Joris Luyendijk, "Wie im echten Leben. Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges", aus dem Niederländischen übersetzt von Anna Middelhoek, Tropen-Verlag Berlin