Die Politik des Wladimir Putin

Das System Putin

Als "inszenierte Demokratie" wird Wladimir Putins Politik bezeichnet, als "konstitutionelle Wahlautokratie" und "bürokratischer Autoritarismus". Oder einfach als "System Putin", wie von den beiden Autorinnen Margareta Mommsen und Angelika Nußberger.

"Wenn man zurückschaut, ist es im Wesentlichen ein Masterplan. Schritt für Schritt ist das realisiert worden. Masterplan im Sinne eines stark zentralisierten Systems mit dieser berühmten Machtvertikale, dass Kontrolle überall herrscht, sei es über die Gesellschaft, sei es über die staatlichen Einrichtungen", so Margarete Mommsen im Gespräch mit Wolfgang Seibel über das "System Putin".

Sie ist diesem "Masterplan" auf den Grund gegangen. In ihrem gemeinsam mit Angelika Nußberger, Direktorin des Instituts für Ostrecht an der Universität Köln, verfassten Buch mit dem Titel "Das System Putin. Gelenkte Demokratie und politische Justiz in Russland" will die emeritierte Professorin für Politikwissenschaft der Uni München die russische Politik der letzten acht Jahre beleuchten: ihre Traditionslinien, ihren Kurs, ihre kapitalen Eingriffe. Und dabei - auch wenn die Autorinnen Kreml-Kritiker und Russland-Experten zu Wort kommen lassen - Fakten und weniger Meinungen sprechen lassen.

"Der demokratische Anstrich des Systems ist erhalten geblieben", meint Mommsen. "Wie das zusammenspielt, die Imitation demokratischer Formen, wie Wahlen oder Parteien, und wie die Herrschenden, die wenigen Oligarchen im Kreml, sich das zunutze machen: Das würde ich für das Besondere dieses Regimes halten."

Rückorientierung auf einen "russischen Weg"

Als Boris Jelzin im August 1999 den damals 46-jährigen Wladimir Putin in das Amt des Ministerpräsidenten hievte, war der ein kaum beschriebenes Blatt: Jurist, ehemaliger KGB-Offizier, Wahlkampfhelfer und später Chef des Inlandsgeheimdienstes. Angetreten mit dem Anspruch, die Reformen Jelzins weiterzuführen, folgte nach Putins Wahl zum Staatspräsidenten im Jahr 2000 schnell eine - so Mommsen und Nußberger - "nüchtern-pragmatische Rückorientierung auf einen 'russischen Weg', der unter dem Zeichen von Stabilitätssuche und Autoritätsgläubigkeit unverkennbar zu einer umfassenden Rezentralisierung der Macht und Verstaatlichung der Zivilgesellschaft führte". Das "System Putin" gewann Kontur.

Überzeugt davon, eine parlamentarische Demokratie passe nicht zu Russland, und geleitet von dem Anspruch, die Wirtschaftsleistung seines Landes zu steigern und dessen Großmachtrolle zu bestätigen, war und ist Putins Ziel ein starker Staat mit einem starken Präsidenten. Erreicht wurde das durch drastische Eingriffe: durch die Entmachtung des Föderationsrats, dem Gouverneure und Republikpräsidenten angehörten, und dessen Umwandlung in einen einflusslosen Honoratiorenclub; durch die Gängelung der Staatsduma, die von der Kremlpartei Einiges Russland beherrscht und, statt die Regierung zu bilden, von der Regierung gebildet wird; durch die Zerschlagung von Großunternehmen mit ihren allzu mächtigen Oligarchen, durch die Aufwertung der Geheimdienste und die Aushöhlung der Justiz.

Manipulation und Großmachtchauvinismus

Mommsen und Nußberger sprechen von Rechtsnihilismus, von niedriger Verfassungskultur und Scheinkonstitutionalismus. Das "System Putin", wie es uns in diesem gut informierten, knapp und präzise gefassten Taschenbuch entgegentritt, das ist die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Verfolgung von Oppositionellen, die Verstaatlichung von Medienunternehmen, die Manipulation der Öffentlichkeit. Das sind aber auch ein neu erweckter Patriotismus und Großmachtchauvinismus, die Putin nicht nur den Beifall von Nationalisten wie Solschenizyn oder orthodoxen Religionsführern einbrachten, sondern auch den weiter Teile der Bevölkerung.

Ausführlich widmen sich Margareta Mommsen und Angelika Nußberger Putins gestörtem Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit. Die - gelenkte - Justiz wird unter die Lupe genommen, die, von der Besetzung der Geschworenenbänke über die vom Präsidenten persönlich ernannten Vorsitzenden der Gerichte bis zur Bestellung der Generalprokuren, von Klüngelwirtschaft und Machtmissbrauch zeugt.

Eigene Logik des Systems

Machtpolitischer Pragmatismus und "Formularkultur", Entmündigung der Zivilgesellschaft und Ungleichbehandlung, Willkür und Rechtsunsicherheit: Mosaiksteine eines Systems, das seiner eigenen Logik folgt - und doch auch immer wieder für Überraschungen gut ist, nicht zuletzt in Personalfragen: siehe Viktor Subkow, Russlands neuer Ministerpräsident.

"Subkow wurde aus der vollkommenen Obskurität hervorgeholt und musste dann von der Duma die Zustimmung erhalten", so Mommsen. "Am ersten Tag war die Überraschung groß: Wer ist Herr Subkow? Am nächsten Tag kamen schon die Lobeshymnen. Das kann man im weiteren Sinn auch für die Gesellschaft überhaupt sagen: Sie ist angepasst, sie ist unkritisch."

Die Verfassung umgehen

Im März 2008 wählt Russland einen neuen Präsidenten. Ein drittes Mal Putin verbietet die Verfassung. Eine Ära scheint zu enden, sei doch das "System Putin", das glauben zumindest Margareta Mommsen und Angelika Nußberger, "nicht reproduzierbar", zu sehr sei es zugeschnitten auf eine Persönlichkeit, die ungewöhnlich große Zustimmung in der Öffentlichkeit genießt.

Wenn da nur die Autorinnen die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Putin dankt ab - und kehrt zurück. Gerade hat er sich zum Spitzenkandidaten der größten Kremlpartei ausgerufen. Wenn Putin Ministerpräsident wird und einen Staatspräsidenten wählen lässt, der sein Schattenmann wird - dann wird es wohl noch lange existieren, das fatale System Putin.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Margareta Mommsen, Angelika Nußberger, "Das System Putin. Gelenkte Demokratie und politische Justiz in Russland", Beck'sche Reihe