"Marcel Marceau war nie mein Vorbild"

Samy Molchos Blick zurück

Der "Guru der Körpersprache" blickt in seinem neuen Buch auf sein bewegtes Leben zurück. Neben dem vor einem Monat verstorbenen Marcel Marceau zählt der in Wien lebende gebürtige Israeli zu den großen Solo-Pantomimen des vergangenen Jahrhunderts.

Weit ausgreifende Gesten, groß aufgerissene Augen, ein breites Lächeln, Augenbrauen, die ständig in Bewegung sind: Wer auch immer mit Samy Molcho spricht, wird wohl nie einen Dolmetsch benötigen. Der gebürtige Israeli, der neben dem vor einem Monat verstorbenen Marcel Marceau zu den großen Solo-Pantomimen des vergangenen Jahrhunderts zählt, hat sich seit seinem Rückzug von der Bühne vor zwei Jahrzehnten einen Namen als "Guru der Körpersprache" gemacht. Nach Büchern wie "Körpersprache der Promis" oder "Körpersprache des Erfolgs" hat der 71-Jährige nun sein bewegtes Leben in "... und ein Tropfen Ewigkeit" zu Papier gebracht. Es wird am 30. Oktober im Max-Reinhardt-Seminar, wo er lange unterrichtete, präsentiert.

Samy Molcho liebt "reine, offene Begriffe" wie Ewigkeit oder Liebe, die von jedem Einzelnen erst mit Erfahrung und Erleben gefüllt werden müssen. Diese Energie, die bereits den kleinen Buben am Strand von Tel Aviv nie still sitzen und ihn später eine Tanz- und Theaterausbildung absolvieren ließ, hält Samy Molcho ständig in Bewegung. Eine Bewegung, die ihn zu den Menschen führt: "Ich habe immer gesucht nach dem, was mich mit Menschen verbindet, nicht nach dem, was mich von ihnen trennt."

Molcho und Marceau
Im Gegensatz zu Marcel Marceau, der bis kurz vor seinem Tod auf der Bühne stand, verfügte Samy Molcho nicht nur über eine breitere Ausbildung, sondern gründete auch rechtzeitig eine Familie. "Für Marceau war die Pantomime sein ganzes Leben. Er konnte nichts anderes." Molcho dagegen brachte seine Tanz- und Theatererfahrung nicht nur in die Entwicklung der Pantomimen-Kunst ein, er konnte nach seinem Rückzug von der Bühne seine Erfahrungen über das menschliche Ausdrucksrepertoire auch als Autor, Coach und Lehrer verwerten. "Marcel Marceau war dagegen ein Beispiel, aber kein guter Lehrer. Er konnte zeigen, was er macht, aber es nicht erklären. Das Resultat war, dass seine Schüler angefangen haben, ihn zu kopieren."

"Für mich war Marcel Marceau nie ein Vorbild", erzählt Molcho, "Ich habe ihn zum Glück in Israel das erste Mal auf der Bühne gesehen, als ich schon meine erste Solopantomime erarbeitet hatte. Wir haben uns persönlich sehr gut verstanden, aber für mich war es leichter als für ihn. Er war zehn, 15 Jahre alleine da, und dann kam ich. Jeder kennt das Problem des ersten Kindes, wenn ein zweites auf die Welt kommt. Ich habe seinen Thron ein bisschen ins Schwanken gebracht."

Wir sind alle schulgeschädigt
Doch auch Samy Molcho bekam als Professor am Max Reinhardt-Seminar, wo er Pantomime und Körpergestaltung lehrte, eines Tages Probleme mit seinen Studenten, erzählt er. In den 1970er Jahren sei Pantomime als Agitprop im Straßentheater und bei Demonstrationen missbraucht worden, eine Entwicklung, die auch seinen Abschied von der Bühne erleichtert habe. "Ich bin dann immer gefragt worden: Was ist deine politische Aussage? Und ich habe gesagt: Ich habe keine, ich habe eine menschliche Aussage. Kunst ist nicht Journalismus!"

Dass für das Bewusstwerden der natürlichen Körpersprache heutzutage Seminare notwendig sind, in der die Teilnehmer von Molcho staunend in die Geheimnisse der nonverbalen Kommunikation eingeführt werden, hält der gefragte Veranstalter entsprechender Seminare für eine Auswirkung falscher Erziehung: "Es geht nicht um das Sammeln von Erfahrungen oder das Nutzen von Potenzialen, sondern um Verbote. Was ist das populärste Wort in der Erziehung? Nein!" Die gesellschaftliche Normierung, bei der jede Bewegung vorgeschrieben werde, beginne in der Schule: "Wir sind alle schulgeschädigt. Wir werden so erzogen, dass es auf alles nur eine richtige Antwort gibt." Oft werde er gefragt: "Wie mache ich es richtig?" Doch es gebe immer verschiedene Wege, es käme nur darauf an, dass äußeres Verhalten auch von innen gedeckt sei.

Lebenslange Beobachtung
Molcho, der in seiner Kindheit die Möglichkeit des friedliche Zusammenlebens der Völker in Palästina kennengelernt hatte und später bei seinem Dienst im israelischen Militär u.a. mit der Betreuung von Brieftauben befasst war, hat Menschen schon immer beobachtet. Später war die Stanislawski-Methode ein wichtiger Teil seiner Schauspielausbildung und Molcho wurde zum Experten der Körpersprache. Manches davon sei universell ("Eine offene Hand kann immer geben und nehmen, eine geschlossene Hand kann das nicht."), anderes ein kulturell geprägtes Gestenrepertoire, schildert Molcho und ist gleich mitten im Demonstrieren diverser Gesten, die in manchen Kulturen ganz harmlos sind, anderswo zu bösen Missverständnissen führen würden. "Ein türkisches Kind ist etwa ganz andren körperlichen Kontakt zu seinen Lehrern gewohnt", gibt er ein Beispiel für alltägliche kulturelle Differenz, "wenn es in Deutschland seinen Lehrer berührt, wird dieser vermutlich abwehrend reagieren."

In Wien hat Molcho, der heute österreichischer Staatsbürger ist, 1959 im Raimundtheater bei den Weltfestspielen der Jugend seinen ersten Auftritt außerhalb Israels absolviert, genau dort fand 1987 auch seine Abschiedsvorstellung statt. Hierher verschlagen hat es Molcho, der überraschender Weise vor allem die Wiener Gemütlichkeit schätzt und bereits 1961 in einer Zeitung mit der Schlagzeile "In Wien möchte ich einmal Pensionist sein" zitiert wurde, vor allem, weil die Mutter seines Managers hier lebte und man zwischen den Tourneen immer wieder hier Station machte. Als fast Vierzigjähriger wollte er schließlich "Familie erleben" und war überzeugt: "Ob ich eine Tournee mehr oder weniger mache, war nicht wichtig." Den Entschluss, am Höhepunkt seines Könnens abzutreten, hat er nie bereut.

Seit 1978 ist er mit seiner Frau Haya verheiratet und hat mit ihr vier Söhne. Seit kurzem betreibt Haya Molcho gemeinsam mit zwei Söhnen das Biolokal "Tewa" (hebräisch für Natur) am Wiener Naschmarkt. Wartet hier die nächste Karriere auf Samy Molcho - der Pantomime als Wirt? "Oh nein", lacht er, "das Lokal ist das Baby meiner Frau."

Hör-Tipp
Von Tag zu Tag, Donnerstag, 25. Oktober 2007, 14:05 Uhr

Buch-Tipp
Samy Molcho: "... und ein Tropfen Ewigkeit. Mein bewegtes Leben", Amalthea Verlag,

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Samy Molcho