Oder: A bissl Bildung tät' Dir net schaden

Die Erfindung der Dampfmaschine

Kultur ist Bildung, und Bildung ist Kultur. Mit dieser Tatsache im Gepäck erlaubt sich der Kulturkolumnist heute einen ressortübergreifenden Ausflug in die aktuell hitzig entflammte Bildungsdebatte, die so bald auch nicht vorbei sein wird.

"A bissl Bildung tät' dir net schaden." - So tönen mir die Worte meines Lateinlehrers, vermutlich selig, heute noch im Ohr. Er pflegte das zu sagen, wenn ich in meiner schon damals berüchtigt offenherzigen Weise gemeint hatte, von allen nutzlosen schulischen Lehrinhalten sei die lateinische Grammatik der ultimativ nutzloseste. Übrigens konnte ich am Schluss ganz gut Latein, was indes nicht meiner Einsicht zu verdanken ist, ich halte das bis heute für sinnlos, sondern der Unnachgiebigkeit dieses eher strengen Pädagogen.

Bildung ist in aller Munde und als - mittlerweile - Vater von zwei Oberstufen-Gymnasiasten verfolge ich diese Debatte aufmerksam. Stand hier und heute dürfte sein: Die kleinere Regierungspartei glaubte nach ihrer Verkleinerung bei der letzten Wahl panikartig, sie müsse moderner werden. Und stimmte der von den Modernisierern geforderten "gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen" zu. Mittlerweile kam sie drauf, dass ihre Wähler das mit großer Mehrheit nicht wollen. Darüber hinaus wollen es die Mittelschullehrer nicht, auch eine ihrer Zielgruppen. Also rudert sie zurück, naturgemäß mittels "bürokratischer" Probleme: Es steht ja blöderweise im Regierungsprogramm, auf das man sich selbst bei jeder Gelegenheit beruft. So weit, so Politik.

Ich sage jetzt etwas Ketzerisches, so wie damals zu meinem Lateinlehrer: Ich glaube nicht, dass die "gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen" die Bildungsmisere beseitigen wird, die - das nebenher - meiner Ansicht nach so dramatisch nicht ist. Oder überhaupt etwas verbessern wird.

Weder wird sie etwas an den miesen Pisa-Ergebnissen ändern: Bei diesen Schüler-Tests blamiert sich Österreich ja alle paar Jahre wieder mit größerer Sicherheit, als das unsere Mannschaften im internationalen Fußball tun. Der Grund ist simpel: Die Pisa-Tests sind stark naturwissenschaftlich ausgerichtet, das österreichische Gymnasium aber eher musisch und geisteswissenschaftlich. Siehe Latein-Grammatik - die lernen Mittelschüler in kaum einem anderen Land der Welt mehr. In wenigen anderen Ländern gibt's in den Lehrplänen Musik, Zeichnen und Malen, Theaterspiel, Singen und Ähnliches in vergleichbarem Ausmaß. Was ich als Kulturmensch ja nur begrüßen kann. Ich behaupte: Die heimischen Schüler lernen nicht weniger, sie lernen bloß etwas anderes, als bei Pisa gefragt ist.

Darüber kann man reden, muss man vielleicht. Gar so fatal kann der Pisa-Rückstand in der Praxis freilich nicht sein: Wenn unsere Alpenrepublik heute das drittreichste Land der EU ist, dann kann die Ursache dafür nicht sein, dass nur Deppen unsere Schulen verlassen. Und wenn doch, dann ist das offenbar nicht tragisch.

Chancengleichheit - das ist der zweite Punkt, der angeblich für die "gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen" spricht. Chancengleichheit ist gut, für Chancengleichheit bin ich unbedingt. Bloß: Chancengleichheit wird man so nicht erreichen.

Wahrscheinlich ist umfassende Chancengleichheit eine Illusion. Kinder aus so genannten "bildungsnahen" Familien sind einfach in anderer Weise mit Bildung konfrontiert als Kinder aus den "bildungsfernen" Schichten. Sie finden zu Hause Bücher vor. Sie werden von ihren Eltern auch zum Lesen animiert. Sie sehen Bilder an den Wänden, nicht nur Poster. Sie lernen schon in anderer Weise sprechen, nämlich richtig. Bekanntlich ist der Dativ dem Genitiv sein Tod, das gilt oft auch für "bildungsnahe" Eltern. Aber sonstige Fehler bessern diese bei ihren Kindern aus. Ich erinnere mich, wie ich mir als Pubertierender den Wiener Dialekt förmlich erarbeiten musste, fast wie eine Fremdsprache. (Tat ich aus schierer Oppositionslust gegen meine "bildungsnahen" Eltern.)

Das ist aber nicht alles, was man durch Schulen nicht wird ausgleichen können. Als meine Kinder längst noch keine stolzen Oberstufen-Gymnasiasten waren, belustigte ich sie einmal (sogar mehrmals, weil sie vergessen das wieder) mit folgendem Witz:

Sagt der Sohn zum Vater: Aber Papa, Du sagst doch immer, alle Väter sind klüger als ihre Söhne. - Sagt der Vater: Sehr richtig, mein Sohn, alle Väter sind klüger als ihre Söhne. - Aber Papa, wer hat die Dampfmaschine erfunden? - Die Dampfmaschine, mein Sohn, hat James Watt erfunden. - Aber Papa, wieso nicht der Vater von James Watt?

Naja, ein Witz. Was ich damit sagen will: Kinder, die "bildungsnahe" aufwachsen, merken, dass es irgendwie gefragt ist, klug zu sein. Dass es möglich ist, etwas zu wissen, und damit Recht zu behalten. Kinder sind erfolgssüchtig, vor allem anderen wollen sie Eindruck schinden (Erwachsene wollen das ja angeblich auch). Wenn sie zu Hause merken, dass man mit Wissen, mit Bildung Erfolg haben kann - dann werden sie das anstreben. Wo nicht, werden sie es bleiben lassen und sich Erfolge auf andere Weise suchen. Ich fürchte, kein Schulsystem der Welt kann solche Prägungen ausgleichen.

Man kann aber schon etwas für die Chancengleichheit tun. Leider kostet es Geld. Und der Aktionismus um die "gemeinsame Schule" dient, so fürchte ich, dem Zweck, dieses Geld nicht locker machen zu müssen.

Tatsache ist, für sozial schwächere Eltern stellt es einen massiven Unterschied dar, wenn der Nachwuchs mit 15 Jahren eine Lehre beginnt und sogar eine Lehrlingsentschädigung "verdient". Um die kann man keine Häuser kaufen, aber ein Beitrag ist es allemal. Und man weiß auch: Der Sohn oder die Tochter wird mit 18 oder 19 einen Beruf haben, und ab diesem Zeitpunkt als Posten aus dem elterlichen Budget heraus fallen. Bei Maturanten ist das bekanntlich anders, und die Differenz, in Euro ausgedrückt, ist beträchtlich. Und diese bemerkt auch das Kind: Taschengeld ist naturgemäß geringer als Lehrlingsentschädigung.

Der Grund, warum Kinder aus sozial schwächeren Familien es selten zur Matura und später an eine Universität schaffen, liegt, so meine ich, nicht an einer gemeinsamen oder getrennten Schule, sondern ist ein finanzieller. Und der ist eben nur mit Geld aus der Welt zu schaffen: Kinder, die mit 15 weiter die Schule besuchen, brauchen Stipendien, wenn die elterliche Finanzlage das erfordert.

So simpel ist das. Auch damit wird sich keine völlige Chancengleichheit generieren lassen, aber man wird das Menschenmögliche dafür tun. Im Gegensatz zum Hickhack um die "gemeinsame Schule", die ich für ein Alibi halte. Leider vermisse ich diese Erkenntnis schmerzlich auch bei den Parteien, die sich die Chancengleichheit auf die Fahnen geschrieben haben.