Binär-Code und Finger

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Punkt eins

Messenger-Überwachung und Staats-KI

Ermitteln mit Big Data - und ohne Datenschutz? Gast: Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Forgó, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht, Universität Wien. Moderation: Xaver Forthuber. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Eine neue Regierung, eine neue Sicherheitsdebatte - und ein neuer Ruf der Politik nach "Messenger-Überwachung", also einer Möglichkeit für die Polizei, private Nachrichten in Netzwerken und auf Handys mitzulesen. Verbrechen könnten besser und schneller aufgeklärt, Terroranschläge gar im Vorfeld verhindert werden, käme man nur an die Chats von verdächtigen Personen heran, heißt es. Aber lässt sich das technisch überhaupt umsetzen - und um welchen Preis?

Die Frage steht schon seit Jahren im Raum - und bleibt unbeantwortet. Den politischen Appellen an das Sicherheitsbedürfnis stehen eindringliche Warnungen von Bürgerrechtler:innen und Datenschützer:innen vor der Abschaffung von Grundrechten entgegen. Die Technik entwickelt sich indessen unbeeindruckt weiter - oder wird weiterentwickelt, von teils zweifelhaften Akteuren.

Die US-Einwanderungsbehörde ICE will zukünftig noch stärker auf die Big-Data-Produkte von Palantir setzen - Firmengründer Peter Thiel hatte Donald Trumps Wahlkampf kräftig unterstützt. Die Datenbanken von ICE kombinieren Informationen über "Augenfarbe, Tattoos, Narben, Kontostand, Social-Security-Nummer oder der derzeitige Arbeitgeber", wie der "Standard" schreibt - und das schon vor dem geplanten KI-Upgrade. Ziel sei eine "vollständige Zielanalyse bekannter Bevölkerungsgruppen". Palantir-Chef Alexander Karp lässt parallel dazu Kulturkampf-Slogans plakatieren und stellt sich damit eindeutig ins rechte Lager von Musk und Trump. Das anlassbedingt zunehmend US-skeptische Europa schreckt das in diesem Fall nicht ab. Im Gegenteil: nicht nur Europol und Nato, auch mehrere europäische Länder setzen Versionen der Datensammel-Software ein. Die deutschen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern haben Palantir-Derivate im Einsatz, laut dem hessischen Innenminister notwendig angesichts der "immer größeren Datenmengen" in Ermittlungsverfahren. Damit die Verknüpfung und Auswertung von Personendaten in diesem Ausmaß überhaupt legal ist, mussten die deutschen Bundesländer ihre Polizeiaufgabengesetze ändern. Verfassungsbeschwerden gibt es trotzdem.

Die europäische Rechtsprechung setzt einer überschießenden Datenspeicherung konstant enge Grenzen - und entscheidet gegen alles, was einer unterschiedslosen Überwachung der gesamten Bevölkerung gleichkäme, sagt der Jurist Nikolaus Forgó, Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Universität Wien. Die österreichische Politik scheint diesen Argumenten diesmal zuvorkommen zu wollen - mit der ständigen Beteuerung, es würde "nicht um Massenüberwachung" gehen - sondern, so formulierte es zuletzt der oberösterreichische Landespolizeidirektor - um den "Massenschutz vor einzelnen Tätern".

Eine absichtliche Sicherheitslücke in den Messengern würde aber zwangsläufig die Geräte von uns allen betreffen, wenden Datenschützer:innen ein - und sie wäre auch ein Einfallstor für unliebsame Akteur:innen, wie Forgó ergänzt. Derzeit warnen internationale Sicherheitsdienste vor zwei neuen Spyware-Programmen, die mit dem chinesischen Staat in Verbindung stehen dürften.

Steht das staatliche Sicherheitsinteresse über dem persönlichen, selbst wenn es um das eigene Handy geht? Und sind die staatlichen "Sicherheitssoftwares" überhaupt geeignet dafür? Nikolaus Forgó ist zu Gast bei Xaver Forthuber. Reden Sie mit: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

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