Ein unbequemer Gast

Freund Hein?

"Freund Hein" - mit dieser einst populären Bezeichnung wurde der Tod im 18. und 19. Jahrhundert personifiziert. Die Vornamen Hein oder Heinrich waren damals besonders gängig. Und ebenso gängig war es, mit dem Tod Bekanntschaft zu machen.

Der plötzliche, schnelle Tod war das Schreckgespenst der Vormoderne. "Lange Zeit galt das wohl vorbereitete, von religiösen Tröstungen und der Gemeinschaft begleitete Ableben als guter, als 'gezähmter' Tod", sagt der Historiker Martin Scheutz vom Institut für österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien.

Die Vormoderne rief nicht - wie heute üblich - den Arzt ans Sterbebett, sondern den Geistlichen. Verwandte, Hausgemeinschaft und Nachbarn verabschiedeten sich vom Sterbenden. Das Sterbezimmer wurde besonders ausstaffiert; Gebete gesprochen, Weihwasser gereicht und Kerzen angezündet. So sollte der Sterbende geschützt in die "andere Welt" hinüber schreiten. Der Tod bedeutete das Ende einer Lebensform, verkörperte aber nicht das Ende des Lebens schlechthin.

Verlernen wir das Sterben?

Aus dem ehemaligen "Freund Hein" ist ein unbequemer Gast geworden. Heute sterben wir einsam, hoch betagt und institutionalisiert. "In Großstädten wie Wien sterben rund 80 Prozent der Bevölkerung in Krankenhäusern und Pflegeheimen und sie sterben hoch betagt und einsam", sagt Katharina Heimerl von der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Doch das eigentliche Kerngeschäft der Institutionen Krankenhaus und Pflegeheim sind Heilung, Rehabilitation, Lebensverlängerung und Prävention. "Das Sterben widerspricht demnach dem eigentlichen Auftrag dieser Organisationen", so Heimerl.

Mit der Einsamkeit des Sterbenden in unseren Tagen beschäftigte sich auch der Kultursoziologe Norbert Elias vor wenigen Jahren und ortete eine "Verdrängung des Todes". Die Gründe dafür sieht Elias darin, dass die Lebenserwartung stark gestiegen ist und die europäische Gesellschaft zuletzt von gewalttätigen kollektiven Todesformen - etwa Kriegen - verschont geblieben worden ist. Dadurch rücke das Sterben in die Nähe altersbedingter Krankheiten und in weite Ferne und kann verdrängt werden.

"Vertraute Umgebung" als letzter Wunsch

Umfragen zufolge wünschen sich 80 Prozent der jungen und gesunden Österreicher "zu Hause" zu sterben, beziehungsweise in "vertrauter Umgebung". Doch Krankheit, Altersschwäche, Schmerzen und Einsamkeit verhindern, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.

"In Österreich sterben pro Jahr etwa 75.000 Menschen. Höchstens 5.500 davon können derzeit stationäre Palliativbetreuung in Anspruch nehmen", sagt Katharina Heimerl. Deshalb heißt es, die Grundgedanken von Sterbebegleitung und Palliativpflege auch in Krankenhäuser und Pflegeheime zu bringen. "Das erfordert ein Umdenken und große Eingriffe in die Struktur der Organisationen und in deren Leitbilder." Denn einerseits geht es um die systematische Betreuung von Patient oder Patientin, den Angehörigen und dem Pflegepersonal. Und andererseits reicht es nicht, nur medizinische Hilfe anzubieten: "Neben der körperlichen, darf nicht auf die soziale, die seelische und nicht zuletzt auch auf die spirituelle Ebene der Betreuung vergessen werden."

Hör-Tipps
Dimensionen, Dienstag, 30. Oktober 2007, 19:05 Uhr

Im Gespräch, Donnerstag, 1. November 2007, 21:01 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Wolfgang Hameter, Meta Niederkorn-Bruck, Martin Scheutz (Hg.), "Freund Hein? Tod und Ritual in der Geschichte", Studien Verlag

Veranstaltungs-Tipp
Ausstellung, "Exitus. Tod alltäglich", bis Sonntag, 6. Jänner 2008, Künstlerhaus Wien, Karlsplatz 5, 1010 Wien

Links
Palliative Care und Organisationsethik
Exitus. Tod alltäglich