Kaum Übersetzungen von chinesischer Literatur

Neugierde auf China

Dass China im Sommer 2008 die Olympischen Spiele ausrichtet, sieht man auch an den Buchveröffentlichungen: Fotobände und Dokumentationen jeder Art locken mit neuen Einblicken. Romane aus China sind nach wie vor selten. Warum?

Das Land der Mitte kommt zunehmend in Mode. Nicht nur, weil es zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht geworden ist - vorgestern wurde bekannt gegeben, dass der Energieriese Petrochina an der Börse doppelt so teuer wie Exxon gehandelt wird und somit mit Abstand zum teuersten Unternehmen der Welt geworden ist - oder weil das veränderte Konsumverhalten der Chinesen vom Autofahren bis zum Milchtrinken die "Abendländer" beunruhigt, sondern auch, weil die liebgewordenen Bilder im Kopf über China ihre Gültigkeit verlieren oder schon verloren haben. Chinesen in Jeans und T-Shirts, Riesenbaustellen, Frauen, die ihren eigenen Weg gehen (dürfen), was hat China noch für Überraschungen für uns auf Lager? Was gibt es noch zu entdecken - ohne sich aus dem bequemen Lesesessel erheben zu müssen?

Chinesischer Alltag

Man könnte mit 70 großen Wundern beginnen und sich einen Überblick über verschiedenste Aspekte des drittgrößten Staats der Erde verschaffen. Jonathan Fenby und seine Mitarbeiter berichten in Wort und Bild über spektakuläre Naturschönheiten und quirlige Megastädte, über ethnische Minderheiten und ihr Leben, über die technischen Errungenschaften, die, lange bevor sie in Europa bekannt wurden, in China zum Alltag zählten. Man könnte aber auch mit dem aus Hongkong stammenden Fotografen Basil Pao 25.000 Kilometer durch alle 32 Provinzen Chinas reisen - ein Jahr lang fotografierte er sich durch den bevölkerungsreichsten Staat der Erde. Man könnte aber auch die beiden Italiener auf ihrer Reise begleiteten, die mit ihrem Fiat 500 von Bari bis Peking gefahren sind.

Man könnte sich aber auch mit Lebensreisen beschäftigen. Etwa mit dem außergewöhnlichen Leben von Rebiya Kadeer, Chinas bekanntester Dissidentin, deren leidenschaftlicher Kampf für die Rechte ihres Volkes, der Uiguren, sie zum Staatsfeind Nr. 1 gemacht und letztendlich ins Exil getrieben hat. Oder mit der Reise in die eigene Familiengeschichte, die Mo Yan in seinem Roman "Das rote Kornfeld" unternommen hat - ein Buch mit Karriere: 1987 ist es als Novellensammlung erschienen, wurde sofort verfilmt und 1988 sowohl mit dem Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele ausgezeichnet als auch für den Oscar nominiert.

Einblicke in den chinesischen Alltag bietet auch der dumme Spruch "Mädchen sind Essstäbchen, Jungen aber Dachbalken" - und wie dieser Spruch das Leben der Frauen bestimmt. Drei der vielen Frauen, die Xinran, die mittlerweile in London lebende Autorin und Ex-Moderatorin für ihre Radiosendung "Words on the Night Breeze" befragt hat, wurden zu Hauptpersonen ihres jüngsten in Deutsch erschienenen Romans "Die namenlosen Töchter".

Vertrauen auf Fotobände

Vielleicht wären chinesische Verleger doch interessiert, chinesische Romane ins Ausland zu verkaufen, aber es scheint einfach kein Interesse zu geben, sagen sie. Am besten "gehen" Bücher über traditionelle chinesische Medizin, berichtete der Geschäftsführer bei China Books in Australien, Tony McGlinchey, dem Online-Magazin China.org.cn - wobei diese "TCM-Bücher" meist von ausländischen und nicht von chinesischen Experten geschrieben werden.

Und Kim Hun, der Leiter der Librairie You-Feng, des in den 1970er Jahren in Frankreich gegründeten Verlages chinesischer Literatur, versuchte im Sommer 2006 seinen in China lebenden Verlegerkollegen die Bedeutung von erstklassigen Übersetzern für den Verkauf chinesischer Romane nahe zu bringen. Man erwiderte ihm, das sei schon richtig, aber man würde eher auf Fotobände vertrauen, denn Bilder seien universeller als Worte. Außerdem hätte man auch nicht mehr Bücher über Griechenland verkauft, als die Olympischen Spiele in Athen stattgefunden haben.

Verfilmte Werke bevorzugt

Wesentlichstes Argument gegen eine verstärkte Förderung chinesischer Autoren im Ausland: Im englischen Sprachraum würden nur zwei oder drei Prozent Bücher mit Chinabezug verkauft - einschließlich aller Fotobände und Lehrwerke. Nicht einmal eine Handvoll chinesischer Autoren habe es geschafft, im Ausland Interesse zu erwecken, war ein weiteres Argument. Dass Mo Yan, Ha Jin und Dai Sijie in der Fremde dennoch gekannt werden, führen die Verleger auf die Verfilmungen ihrer Werke zurück. Und sie träumen davon, dass wieder einer kommen würde, der für die englischen Rechte an einem chinesischen Roman 100.000 Dollar zu zahlen bereit ist.

Dennoch: Wer Einblick in die Seele, in die emotionalen Landschaften Chinas gewinnen möchte, sollte auf die Suche nach Romanen aus China gehen.

Buch-Tipps
Mo Yan, "Das rote Kornfeld", Unionsverlag

Xinran, "Die namenlosen Töchter", Droemer Verlag

Rebiya Kadeer, Alexandra Cavelius, "Die Himmelsstürmerin. Chinas Staatsfeindin Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben", Heyne Verlag

Danilo Elia, "Echt abgefahren. Mit dem Fiat 500 nach Peking", Verlag Frederking & Thaler

Jonathan Fenby, "Die 70 großen Wunder Chinas", Verlag Frederking & Thaler

Basil Pao, "China. Unterwegs in allen Provinzen", Geo, Frederking & Thaler Verlag

James Kynge, "China. Der Aufstieg einer hungrigen Nation", Murmann Verlag

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Link
China.org.cn