Lojze Wieser im Gespräch

Muttersprache als Menschenrecht

Slowenisch ist seine Muttersprache, Deutsch Zweitsprache. Er spricht Kroatisch, Serbisch, Bosnisch, teilweise Bulgarisch, Tschechisch, Slowakisch, und er ist Verlagsgründer: der Klagenfurter Lojze Wieser.

Lojze Wieser liest ein Gedicht von Abdullah Sidran

Als Mitglied der slowenischen Minderheit Kärntens in Klagenfurt geboren zu werden, bedeutet, dass ein Leben in verschiedenen Sprach- und Kulturkreisen vorprogrammiert ist. Lojze Wieser, Jahrgang 1954, hat sich der Vermittlung mittel- und südosteuropäischer Kulturen verschrieben. Dass dabei Grenzüberschreitung in mehrerlei Hinsicht angesagt ist, war ihm bei der Gründung seines Verlags im Jahr 1987 längst bewusst gewesen.

Auf seine Buchhandels- und Verlagslehre folgten verschiedene Tätigkeiten in Buchhandlungen und Druckereien. Von 1981 bis 1986 arbeitete Lojze Wieser als Leiter des slowenisch-österreichischen Drava Verlages. Schon damals ging es ihm darum, slowenische Literatur im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Er machte sich selbstständig und begann mit dem Aufbau des Wieser-Verlags.

Im Namen des Vaterlandes...

Michael Kerbler: Worauf können Sie denn eher verzichten: auf Heimat, Vaterland oder die Fremde?
Lojze Wieser: Ach, auf Vaterländer kann ich sofort verzichten, aber auf die Muttersprache nicht. Ich würde auch auf die geografische Nähe der Heimat wahrscheinlich verzichten können, wenn sie nicht - wie man das auch in der Literatur sieht, zum Beispiel beim Florjan Lipus - einen Ort hätte. Und diese Verortung der Literatur würde ich auch als Heimat bezeichnen. Aber ich würde sehr gerne auch in Zukunft und auch im Weiteren auf die Bestimmung des Vaterlandes gerne verzichten, denn im Namen des Vaterlandes wurden Kriege geführt. Und im Namen des Vaterlandes wurden Menschen zu Krüppeln geschlagen. Und im Namen des Vaterlandes wurde nicht das Vaterunser gebetet, sondern es wurde in Wirklichkeit anders gewendet. Es wurde gewendet dagegen, dass die Menschen ihre Ausdruckskraft in der Sprache gesucht haben. Und es wurde gewendet dagegen, dass, egal wie groß jemand ist, egal wie zahlreich jemand in einer Gegend , in einem Territorium lebt, er oder sie sich unterordnen, sich assimilieren müssen. Und aus dem heraus ist meiner Meinung nach auch klar erkennbar, dass die Sprache und die Anerkennung der Sprache und die Achtung der Sprache gleichzusetzen ist mit der Achtung und der Anerkennung des Anderen, des Gegenüber, des Menschen. Und in der Sprache kommt dann auch zum Ausdruck - ob gezählt oder nicht gezählt, ob sichtbar oder nicht sichtbar -, dass Menschen, wenn sie sich der Sprache entsagen müssen, auch zu lügen gezwungen werden. Und in dem Moment, wo ein Mensch zu lügen beginnt, verleugnet er nicht nur die anderen, er verleugnet auch sich selbst. Und in dem Moment, wo er sich selbst verleugnet, ist er imstande, immer und unter jeder anderen Macht sich gegen den anderen zu stellen.

Hunger auf Literatur

Wie ist diese Tradition zu erklären, dass viel mehr Bücher in Slowenien gelesen werden, aus Bibliotheken entliehen werden? Warum hat sich das dort etabliert?
Die Slowenen haben ja im Grunde genommen erst seit 16 Jahren einen eigenen Staat. Tatsache ist, dass den Slowenen, den slowenischen Menschen die Identifikation durch das Buch gekommen ist. Man muss sich das einmal so vorstellen: 1550 wurde das erste slowenische Buch gedruckt. Von 1550 bis 1602, wo dann die Gegenreformation voll durchgeschlagen hat, wurden an die 120 Bücher in slowenischer Sprache gedruckt. In den Jahren 1600 bis 1800 wurden an weltlicher Literatur in Slowenien keine zehn Bücher gedruckt. Es wurde sehr viel Katholisches, Gebetbücher und so weiter gedruckt, aber kaum wirklich literarische Werke. Und die Menschen haben sich immer auf diese Bücher bezogen. Auch in den sozialen Kämpfen, in den Bauernaufständen und so weiter, wurde auf diese Literatur immer Bezug genommen.

Es hat sich eine Tradition fortgesetzt, die im Grunde genommen die Verschriftlichung des eigenen Wollens beinhaltet hat. Und auch, als im Verband der österreichisch-ungarischen Monarchie die Slowenen tätig waren, haben sie sich über die Sprache und über die Bücher identifiziert. Nach 1945 hat die slowenische Sprache, und auch die Kulturpolitik im jugoslawischen Bereich, eine ganz wichtige Rolle gespielt, diese Leseförderung, indem Schüler und Schülerinnen aufgefordert worden sind, aktiv zu lesen. Und wenn sie dieses Programm durchgemacht haben, haben sie eine Auszeichnung bekommen, eine Nadel. Und damit entsteht natürlich schon ein Bewusstsein, dass das Buch etwas bedeutet und von klein auf mitgeführt wird.