Der "Salomé"-Pionier Antoine Mariotte

"Salome" und "Salomé"

Nicht nur Salome tanzt, sondern auch Salomé - in einer Oper mit dem französischen Originaltext von Oscar Wilde, den Richard Strauss "nur" in deutscher Übersetzung vertont hat. Ihr Komponist, Antoine Mariotte, war früher dran als Strauss.

Ausschnitt aus Antoine Mariottes "Salomé"

Wer war Antoine Mariotte, dessen 1908 uraufgeführte "Salomé" nur alle paar Jahrzehnte aus den Archiven geholt wird (zuletzt 2005 beim Opernfestival in Montpellier) und die dem Jugendstil-Stoff eine Musik auf der Linie Dukas-Debussy entgegensetzt? 1875 in Avignon geboren, also gut zehn Jahre jünger als Strauss, gestorben 1944, Schüler von Vincent d'Indy, Dirigent, in den 1930er Jahren kurz Direktor der Pariser Opéra Comique - die Lexika halten sich nicht lange auf mit seiner Lebensgeschichte.

Ein paar Opern gibt es aus seiner Feder, unterschiedlichste Stoffe, Komödien neben Biblischem, wie später "Esther, Princesse d'Israel".

Klavier spielen für einen Grafen

Ein paar Episoden sind erzählenswert: Wie Mariotte ursprünglich Marinesoldat war, die Liebe zur Musik aber doch siegte. Wie er sich als Student am Pariser Consérvatoire einen Grafen fand, dem er am Flügel jeden Tag eine Stunde vorspielte, gut bezahlt.

Als Mariottes Salomé-Oper entstand, war er bereits in Lyon Leiter des Symphonischen Vereins, Organist und Klavierlehrer - eine Durchschnittsbiographie, speziell im Vergleich zum mehrfachen Hofkapellmeister und international gesuchten Dirigenten Richard Strauss, der durch seine symphonischen Dichtungen längst eine Berühmtheit war, ehe er sich den "verruchten" Text des "Bürgerschrecks" Oscar Wilde für seine Oper rund um die femme fatale Salome hernahm.

Rechtsstreit mit Richard Strauss

Der große Richard Strauss, der kleine Nachwuchskomponist Mariotte: An dieses Bild muss man denken, wenn Mariotte in der Folge fast unter die Räder von Strauss' Verleger gekommen wäre. Antoine Mariotte hatte lange vor Strauss mit seiner Wilde-Vertonung begonnen, war aber zu wenig Profi, um sich dafür auch die Rechte zu sichern. Für Strauss war das selbstverständlich, und so begann 1905, als Strauss' "Salome" in Dresden zur Uraufführung angesetzt war, ein Feldzug des Strauss-Verlegers gegen den unliebsamen "Konkurrenten" Mariotte.

Die Bedingungen, die man Mariotte diktierte, sahen so aus: "Salomé" nur eine Opernsaison hindurch spielen lassen, 40 Prozent der Einnahmen an Strauss abliefern, das Notenmaterial nach der einen Saison zur Vernichtung vollständig abliefern.

Weniger exaltiert

Ein Schlag, von dem sich die andere "Salome" nie mehr erholen sollte, zumal ihr auch das Spektakuläre der Strauss-Oper abgeht: die Musiksprache ist diskreter, das Orchester kleiner, und die Leidenschaften klingen weniger exaltiert. Strauss und Mariotte haben zwar die gleiche literarische Vorlage verwendet, Strauss zunächst in Übersetzung, Mariotte im Original, aber unterschiedlich gekürzt.

Und Kürzungen sind unvermeidbar bei einem Text, der sich - in einer Sprache, die Wilde noch dazu nicht bis ins Letzte beherrschte - in die entlegensten Formulierenden verliebt und sich Zeile für Zeile an exquisitem Vokabular übertrifft. (Wilde hatte sich die berühmte Actrice Sarah Bernhardt in der Titelrolle gewünscht.) Mariottes Salomé ist bei Mariotte Mezzosopran, ihr Vater Herode klingt als Bass ganz ähnlich wie der Prophet Iokanaan, in den sie sich verliebt - psychologisch gemeint?

Strauss auf Mariottes Spuren

Pointe am Rande: Auch von Richard Strauss gibt es eine "Salomé", und sie ist zumindest so unbekannt geblieben wie die "Salomé" von Antoine Mariotte. Kaum hatte Strauss die "Salome"-Partitur abgeschlossen, wurde es für ihn zur fixen Idee, auch eine französische Fassung der Oper anzubieten, für die den von ihm in Musik gesetzten Text-Passagen wieder die Originalworte von Wilde unterlegt sein sollten.

Klar, dass die Komposition den anderen Worten und Betonungen angepasst werden musste, womit sich Strauss mühsam selbst befasste, wohl um die Aufgabe nicht innerlich unbeteiligten Klavierauszug-Fabrikateuren zu überlassen. Diese "Salomé", authentisch von Richard Strauss und Oscar Wilde, wurde zwar 1907 in Paris gespielt, konnte aber selbst im französischen Sprachraum nie Fuß fassen - noch weniger als die "Salomé" des lästigen Antoine Mariotte.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 8. November 2007, 15:06 Uhr

Links
Projekt Gutenberg - Salome-Libretto von Strauss
Salomé - von Oscar Wilde, in franz. Sprache