Die Schwarzmeerküste in Rumänien und Bulgarien

Bauboom, Ballermann und Briten

Sechs Länder grenzen an das Schwarze Meer: Russland, die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, die Türkei und Georgien. Die Küstenabschnitte in Bulgarien und Rumänien entwickeln sich bei Westeuropäern zu Urlaubsrennern.

Ovidiu war ein wenig melancholisch gestimmt. Die Saison war vorbei, und das bedeutete für ihn: wieder zurück nach Bukarest, wieder zurück ins normale Leben. Es war Anfang September, Ovidiu war schon seit drei Monaten hier in Vama Veche.

Der Student mit den gepiercten Augenbrauen hatte sich hier mit Freunden getroffen, die Nächte durchgetanzt, in Lokalen ausgeholfen und so ein paar Lei verdient. Viel Geld brauchte er nicht, weil er einfach am Strand im Schlafsack übernachtete. Das ist Freiheit, sagte er, deswegen kommen wir hier her.

Keine Regeln und Vorschriften

Vama Veche heißt auf Rumänisch "Alter Zoll". Der Ort befindet sich am südlichen Ende der rumänischen Schwarzmeerküste, gleich dahinter beginnt Bulgarien. Diese Lage im Grenzgebiet hatte das kleine Dorf in kommunistischer Zeit davor bewahrt, mit Hotelkomplexen zugepflastert zu werden, wie das bei den anderen Orten des "Litoral" - wie die Küste auf Rumänisch heißt - der Fall war.

Vama Veche war daher schon zur Zeit des Ceausescu-Regimes anders, hier verbrachten viele Künstler und Intellektuelle ihren Sommerurlaub, und der Ort wurde zum Synonym für - zumindest temporäre - Freiheit und Unangepasstheit, für Diskussionen und Nacktbaden. Nach der Wende des Jahres 1990 zeigte sich jedoch bald, dass die neu gewonnene Freiheit recht Unterschiedliches bedeuten konnte. Für die einen blieb Vama Veche der Ort, wo sie den Sommer ohne verordnete Regeln und Vorschriften verbringen konnten - in Zelt und Schlafsack, bei Rockkonzerten, mit Alkohol und Joints. Für andere war jetzt die Freiheit angebrochen, sich in Vama Veche ein Stück Land kaufen zu können, um Pensionen oder Appartements zu errichten.

Beide Freiheiten vertrugen sich nicht: Die einen erregten sich über die vermeintliche Anarchie, den Schmutz und die Unmoral am Strand, die anderen gründeten eine Initiative mit dem Namen "Retten wir Vama Veche" und sprayten diesen Slogan auf die Wände der halbfertigen Neubauten. "Hier ändert sich zu viel", sagt Ovidiu, "das wollen wir nicht."

Hotel an Hotel

Vama Veche ist für die rumänische Schwarzmeerküste aber eher untypisch. Typisch sind Badeorte wie Mamaia: zehn Kilometer lang, mehrere hundert Hotels entlang der palmenbestückten Strandpromenade, Unmengen an Restaurants und wummernden Discos, ein Rummelplatz, ein Aquapark, eine zwei Kilometer lange Gondelbahn. Oder die in den 1970ern errichteten synthetischen Hotelsiedlungen mit den Namen Merkur, Neptun, Saturn, Venus - wenn die Rumänen schon nicht ins Ausland reisen konnten, so sollten sie im Urlaub wenigstens ins Weltall fahren dürfen, witzelte man damals.

Hier werden einige Hotels auch von westeuropäischen Reiseveranstaltern angeboten, doch die ausländischen Touristen fallen nicht wirklich ins Gewicht. Aufschriften und Speisekarten sind einsprachig rumänisch, die Unterkünfte veraltet. Auch sonst bietet sich dem Reisenden nicht viel: Die Landschaft ist eintönig, es gibt keine alten Dörfer oder Städte mit sehenswerten Altstädten, der Abrisswahn Ceausescus und sein berüchtigtes "Dorferneuerungsprogramm" hat all das beseitigt.

Trotzdem ist die Küste im Sommer bummvoll - kein Wunder: Es gibt 22 Millionen Rumänen, aber nur 40 Kilometer Strand, und so werden hier im Sommer auch die letzten Zimmer für die Urlauber frei gemacht. Am Ortseingang der Badeorte stehen Frauen und Männer am Straßenrand und winken mit dem Schlüsselbund - die rumänische Version von "Zimmer frei".

Autos statt Flugzeuge

In den letzten Jahren fahren aber auch immer mehr Rumänen auf Urlaub ins Nachbarland Bulgarien: Dort ist es billiger, die Strände sind länger und weniger überfüllt, und die Hotels sind meistens besser ausgestattet bzw. renoviert worden.

20.000 Rumänen kamen heuer zu Ostern nach Zlatni pjasaci zum Kurzurlaub, doch darauf war die Hotelstadt mit dem deutschen Namen "Goldstrand" nicht vorbereitet: Bisher waren die Touristen aus dem Westen als Pauschalurlauber mit dem Flugzeug gekommen und wurden mit Bussen ins Hotel transferiert, die Rumänen jedoch kamen alle mit ihren Autos - und am Goldstrand kam es zum Verkehrskollaps.

Ballermann in Bulgarien

Zlatni pjasaci, Slancev Brjag ("Sonnenstrand") und Sveti Elena, das in kommunistischer Zeit Druzba ("Freundschaft") geheißen hat – das sind die auch bei uns bekannten riesigen Hotelkolonien an der bulgarischen Küste, besonders beliebt bei Deutschen, Engländern und Skandinaviern. Hier findet allabends der "Ballermann am Balkan" statt, hier wird geworben mit "Sangriafreisaufen ab 22 Uhr", und immer mehr Urlauber, die früher in "Malle" waren, kommen jetzt nach "Bulle" - von Mallorca nach Bulgarien.

Doch die bulgarische Schwarzmeerküste ist mehr als das. Es gibt kilometerlange, menschenleere Sandstrände und schöne alte Städte wie Nessebar, Sozopol und Balcik. Geht man durch die Fußgängerzone von Varna, der drittgrößten Stadt Bulgariens, dann fallen die vielen englischsprachigen Schilder der Realitätenbüros ins Auge. Viele Briten, denen Spanien, Portugal oder Zypern zu teuer geworden sind, haben sich hier einen Zweitwohnsitz zugelegt.

Nicht nur Großinvestoren bauen, überall an der Küste haben auch Private kleine Hotels errichtet, werden Zimmer und Appartements vermietet. Doch der Bauboom geschah zu schnell: Die Hotels waren heuer im Sommer nur zu 50 Prozent ausgelastet, die Vermieter mussten die Preise senken, und gegen die Verbauung der Strände erhob sich der Protest von Naturschutzorganisationen.

Umweltinitiative für Irakli

Genau in der Mitte zwischen Varna und Burgas befindet sich Irakli. Noch ist der lange, feinsandige Strand meistens menschenleer, nur eine Bar vermietet Liegestühle und Sonnenschirme. Doch schon gibt es mehr als zehn Bauprojekte für das Gebiet, und aus Protest dagegen hat sich die Initiative "Da spasim Irakli" (Retten wir Irakli) gebildet. Wie die meisten Umweltinitiativen Bulgariens besteht sie hauptsächlich aus jungen Leuten.

Laut Gesetz dürfe man nicht näher als 100 Meter an den Strand heranbauen, erklärt Radosveta Krestanova von der Initiative, doch entlang der Küste kann man immer wieder sehen, dass dieses Gesetz recht unwirksam ist. Für die junge Aktivistin geht es daher nicht nur um die Erhaltung der Natur, sondern auch um politische Fragen wie die Einhaltung des Rechtsstaates: "Für uns ist Irakli auch ein Symbol für ein neues staatsbürgerliches Engagement zur Verteidigung des öffentlichen Interesses."

Mehr zur Schwarzmeerküsten in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 30. August 2008, 17:05 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Vanessa Winship, "Schwarzes Meer", aus dem Englischen übersetzt von Karl J. Spurzem, marebuchverlag

Mehr dazu in oe1.ORF.at