Vielfältige Bühnen- und Literaturlandschaft
Die Theaterszene Bulgariens
Ein Überblick der Theaterszene von Sofia bis Varna und von Russe bis Plovdiv.
8. April 2017, 21:58
Die renovierte alte Markthalle von Sofia, eine Eisen und Glaskonstruktion, in die jetzt schicke Cafés und Restaurants eingezogen sind. Daneben steht die frisch erneuerte wunderschöne Synagoge, eine der größten in Südosteuropa, auf der anderen Seite liegt die Moschee und das Mineralbad mit wunderschönen bunten Fliesen geschmückt, es harrt noch der Renovierung.
Wenn man hinauf zur Sveta-Nedelja-Kathedrale spaziert und sich dann links hält, kommt man zum Nationaltheater, das nach dem berühmtesten Dichter Bulgariens benannt ist und wie die meisten Bauten in Sofia in neuem Glanz erstrahlt. Ein im klassizistischen Stil erbautes, wunderschönes Theater, mit Säulenportikus und Giebel, deren Marmor sich von der in Ocker gehaltenen Fassade abhebt.
"King Lear" in modernen Kostümen
Eine der interessantesten Aufführungen, die man derzeit im Ivan-Vasov-Theater sehen kann, ist Shakespeares "König Lear", inszeniert von Valeri Petrov. Lear in modernen Kostümen, mit einer ständig sich neue zusammensetzenden Bühne, als schrilles Drama um die Macht. Die Regieführung kann man durchaus mit jener Martin Kusejs vergleichen, pointiert und heutig, inmitten seiner drei Töchter brilliert Naum Tscholov, ein alter zerbrechlicher Schauspieler, der nicht nur durch seine Glatze und sein markantes Gesicht an den verstorbenen Bernhard Minetti erinnert.
Der Broadway Sofias
Das Publikum mit vielen jungen Zuschauern verfolgt gebannt das Geschehen und am Schluss gibt es Standing Ovations. Gleich hinter dem Vasov-Theater liegt der Rakovski-Boulevard, der in Sofia auch einfach der Rakowski-Broadway genannt wird. Denn hier befinden sich die meisten Theater wie das Armeetheater und jenes kleine Theater im Gebäude des Finanzministeriums, in dem die Regisseurin Vagrecia Vicorowa gerade ihre nächste Inszenierung vorbereitet.
Sie hat selbst schon oft am Vasov-Nationaltheater inszeniert und gibt zu , dass es derzeit recht gut um die nationale Bühne steht, denn dort arbeiten viele junge und interessante Künstler, sie riskieren was und haben dadurch auch einen ziemlichen Erfolg.
Stücke und Stars
Vasgrecia Vichorowa arbeitet derzeit im Theater 199, denn dort gäbe es nur 199 Sitze, es sei ein Theater für gute Stücke und Stars. Das Theater 199 ist in den letzten zehn Jahren das wohl erfolgreichste Theater in Bulgarien und ist immer ausverkauft, weil das Publikum hier seine Lieblinge hautnah erleben kann.
Vasgrecia Vichorowa arbeitet derzeit an einem Stück über die französische Modeikone Coco Chanel, die von Zwetana Manewa gespielt wird, eine Theaterlegende in Bulgarien. Mit ihr hat Vichorowa bereits im Nationaltheater zusammengearbeitet, in der sehr erfolgreichen Inszenierung von Lorcas "Bernarda Albas Haus". Aber Vichorowa hat einen durchaus kritischen Blick auf das bulgarische Theater, dessen Probleme nicht rein ökonomisch seien, es gäbe keine Bandbreite verschiedener Theatersprachen, wie man sie etwa in Wien heute finden könnte.
Bulgarische Regisseure im Westen
Viele begabte Regisseure sind natürlich auch längst in den Norden und Westen gegangen, man denke an Vera Nemirova, die eben an der Staatsoper "Pique Dame" inszeniert hat, an den Schauspieler Samuel Finzi oder den Regisseur Dimiter Gottschef, den Vichorowa seit den kommunistischen Zeiten kennt. Er hatte damals gröbere Probleme mit den Machthabern und nach der Wende war es wohl seine höchst verständliche Entscheidung, nicht mehr in Bulgarien zu arbeiten, obwohl er seine Kollegen in Bulgarien sehr schätzt.
Zum Beispiel im Theater in Plovdiv, einer Stadt, die ungefähr zwei Stunden von Sofia entfernt ist und am Fuß der Rhodopen liegt. Neben den vielen wunderschönen Häusern aus der sogenannten Wiedergeburtszeit, also jenen Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, in denen sich Bulgarien von der türkischen Herrschaft freizumachen und die eigenen Traditionen zu betonen suchte, glänzt Plovdiv auch durch ein Sprechtheater, das in ganz Bulgarien bekannt ist. Der Direktor des Hauses Emil Bonev ist selbst Autor und Regisseur. Er zeigt einem voller Stolz das Haus, dessen Bau aus den fünfziger Jahren stammt, obwohl es das älteste Sprechtheater in Bulgarien ist.
Theater-Netzwerk
Emil Bonev hat das Theater in Plovdiv reformiert, das Ensemble der Schauspieler und Schauspielerinnen ist zwanzigköpfig und voll motiviert. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt bei 27 Jahren. Bonev ist seit acht Jahren Theaterdirektor und sein Spielplan zwischen Shakespeare und Gogol bis zu modernen bulgarischen Autoren wird in der Universitätsstadt Plovdiv äußerst gut angenommen. Auch hat Bonev mit anderen Theatern auf dem Balkan ein Netzwerk gegründet und er denkt, dass man in einigen Jahren auch vom Theater in Plovdiv hören wird.
Emil Bonev würde auch gerne Dimitri Dinev kennenlernen, derzeit Bulgariens wohl bekanntester Dramatiker, der selbst aus Plovdiv kommtt, seit langem aber in Wien lebt. Sein Stück "Das Haus des Richters" wird derzeit mit Erfolg am Wiener Akademietheater gespielt und er bereitet zweie neue Auftragsarbeiten, für das Wiener Volkstheater und die Salzburger Festspiele, vor.
Theaterpreis für Dinev
Dinev schreibt allerdings in Deutsch und in Bulgarien ist man erst nach und nach auf ihn aufmerksam geworden. So hat er erst im letzten Jahr den wichtigsten bulgarischen Theaterpreis erhalten, den "Askeer" für sein Stück "Haut und Himmel", das durch die Wiener Wortstätten im Rabenhoftheater in Wien uraufgeführt wurde. Seit ganz kurzem gibt es beim Drava-Verlag einen Band zum Thema Junges Theater aus Bulgarien. In ihm sind Stücke von Emil Boneb, Teodora Dimova, Jurij Dacev, Kalin Iliev und Jana Dobreva versammelt. Herausgegeben hat es der Leiter des Bulgarischen Kulturinstituts im Wiener Wittgensteinhaus, Borislav Petranov. "Es ist interessant, dass die jungen Leute Versuche mit verschiedenen dramaturgischen Konzepte machen", so Petranov.
Roman über die Wendezeit
2005 präsentierte das Wiener Festival Literatur im Herbst Bulgarien und damals erschien auch eine Sondernummer der Literaturzeitschrift "Wespennest".
Damals waren auch Vladimir Zarev mit seinem Roman "Verfall" über die Wendezeit in Bulgarien und seine Frau Mirela Ivanova in Wien, die wohl Bulgariens bekannteste Lyrikerin ist. Vor kurzem waren sie wieder da - in einer von Dimitri Dinev geleiteten "Bulgarischen Nacht" in Wien am Ende des Festivals Roter Oktober der Wiener Wortstätten. Da las dann auch der 1960 geborene Journalist und Autor Dejan Enev aus seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel "Zirkus Bulgarien".
"Mission London" von Alex Popov ist ein anderes wichtiges, sehr ironisches Buch über Bulgarien, das bei uns im Deuticke Verlag erschienen ist. Es wurde bereits als Theaterstück aufgeführt und wird derzeit verfilmt.
Lebendige Literaturszene
Die Autorin Mirela Ivanova über Strömungen und Themen in der heutigen bulgarischen Literatur: "Man darf nicht vergessen, dass Bulgarien an einer Kreuzung liegt. diese Kreuzung bedeutet sehr viele und widersprüchliche Energien. Deshalb ist die Literaturszene im Moment sehr lebendig. Von diesem Pluralismus haben wir lange geträumt. Bulgarien ist ein sehr interessantes Land. Manchmal sind wir von so viel Interessantem erschöpft. Jeder Tag ist ein Erlebnis, ein Kampf - wir brauchen auch eine normalere Zeit", skizziert die Lyrikerin die aktuelle Situation in Bulgarien mit einem Lachen. Humor und List sind durchaus Möglichkeiten, in diese neue normalere Zeit zu kommen.
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